Unsere Lesenswertes-Beiträge

Unser Motto lautet: Information durch Aufklärung. Verfolge unseren persönlichen Pfad der Erkenntnis und des Verstehens der Hintergründe und Auswirkungen der Gemeinwohl-Ökonomie auf Gesellschaft und Politik.

Christian Felber im philosophischen Radio im WDR 5 – 2017

Das philosophische Radio mit Jürgen Wiebicke am 07.07.2017 in Köln

J. Wiebicke: Freunde der Weisheit, guten Abend! Das ist ja mal ein schönes Versprechen! Es wird genug für alle da sein. Diesen Satz habe ich in einem Buch gefunden, das von der Abschaffung des Kapitalismus handelt.  Von einer Ökonomie, in der es nicht nur um Profit und Konkurrenz gehen soll, sondern um Kooperation. Das Ziel soll das Gemeinwohl sein. Da fragt man sich gleich, wer will das gleich festlegen, welche Produkte dem Gemeinwohl dienen und welche nicht? Jedenfalls soll es keine kommunistische Planwirtschaft sein, die meinem Gast Christian Felber für die Zeit nach dem Kapitalismus vorschwebt, sondern ein dritter Weg zwischen dem Kapitalismus, wie wir ihn kennen, und dem System DDR, das sich wohl nur ein Paar Freaks zurückwünschen. Was halten sie von der Idee einer Gemeinwohl-Ökonomie? Wird uns nochmal etwas Besseres einfallen als Kapitalismus, was dann auch funktioniert? Und Christian Felber ist prominenter Globalisierungskritiker aus Österreich. Und sein Buch „Gemeinwohl-Ökonomie“ wird seit einigen Jahren sehr intensiv gelesen. Guten Abend, Herr Felber. Philosophie und Ökonomie waren ja mal ziemlich eng zusammen, oder?

Ch. Felber: Die Philosophie war sogar mal die Mutter, aus der dann die Ökonomie, die Wirtschaftswissenschaft hervorgegangen ist. Der bekannteste „Ökonom“ Adam Smith, der war nicht nur kein Ökonom und konnte noch gar keiner gewesen sein, weil es im 18. Jahrhundert die Wirtschaftswissenschaft noch gar nicht gab und sein epochales Werk „Der Wohlstand der Nationen“, das schrieb er als ordentlicher Professor für Moralphilosophie und das ist ein schöner Fingerzeig, wo eigentlich die Wirtschaftswissenschaft herkommt.

J. Wiebicke: Ja, und wenn sie heute nun mit BWL’ern oder VWL’ern an der Uni sprechen. In welcher Weise werben sie dann dafür, dass die beiden Fakultäten wieder zusammenkommen?

Ch. Felber: Also ausgehend vom größten anzunehmenden Widerspruch, dass heute in der klassischen Betriebswirtschaftslehre, aber auch in Teilen der Wirtschaftswissenschaft insgesamt das Mittel zum Zweck geworden ist, d.h. das Geld, oder der Kapitaleinsatz und die Vermehrung des Kapitals sind zum Zweck des Wirtschaftens geworden, was im Finanzgewinn eines Unternehmens gemessen wird oder mit der Finanzrendite oder mit dem Bruttoinlandsprodukt als oberstem Erfolgsindikator, aber das sollten nach Übereinstimmung aller Verfassungen aber nur die Mittel sein. Und den Erfolg, den misst man ebenso überstimmend nach allen Schulen des Projektmanagements an den Zielen. Und das Ziel des Wirtschaftens, da gibt es die dritte Übereinstimmung in allen Verfassungen und Philosophien, sollte das Gemeinwohl sein. Und so versuche ich das Kapital und das Geld wieder auf seinen Platz zu verweisen, nämlich als Mittel des Wirtschaftens. Es soll aber dem Zweck, dem Gemeinwohl, dienen und wenn wir wirtschaftlichen Erfolg messen wollen, dann müssen wir eben eine Gemeinwohl-Prüfung für Investitionen, eine Gemeinwohl-Bilanz für Unternehmen und ein Gemeinwohl-Produkt für Volkswirtschaften entwickeln und das haben wir zum Teil auch schon getan.

J. Wiebicke: Das werden wir uns nachher noch einmal genauer anschauen, wie das eigentlich in der Praxis gelingen kann, aber ich frage mich gerade mal zu der Zeit von Adam Smith, also im 18. Jahrhundert, wird doch ein Unternehmer, ein früher Kapitalist, gehandelt haben, um möglichst reich zu werden. Da war auch in dieser Zeit sicher auch das Geld nicht nur das Mittel, sondern auch der Zweck!

Ch. Felber: Nun ja, für einige ganz gewiss, aber für andere bedeutet schon einmal Reichtum etwas ganz anderes. Da beginnt es ja schon. Für viele Menschen bedeutet Reichtum eben eine Vielfalt an Erfahrungen, an erfüllenden Beziehungen, an der Befriedigung der Grundbedürfnisse und an einem sinnerfüllten und sinnstiftenden Leben und das kann theoretisch und im Extremfall sogar ganz ohne Geld und gewinnträchtige Unternehmen erreicht werden, d.h. es beginnt immer bei der Definition der Konzepte, was ist Reichtum und dann geht es dazu über, was ist der Zweck eines Unternehmens und hier müssen wir nicht mal bei Adam Smith lesen, sondern hier könnten wir schon bei Aristoteles beginnen, der natürlich ebenso Philosoph war, aber der noch messerschärfer als Adam Smith unterschieden hat zwischen einer Form die Wirtschaft zu denken und zu praktizieren, in der das Geld nur ein Mittel ist. Mit Unternehmen, kein Problem. Aber es dient eben dem übergeordneten Ziel eines guten Lebens für alle.

J. Wiebicke: Das heißt, wir können bis hierhin schon einmal festhalten, dass sie das Geld eben nicht abschaffen wollen?

Ch. Felber: Auf gar keinen Fall. Die Mittel sind wertvoll und manchmal auch unverzichtbar und solange wir uns in einer freien Marktwirtschaft, die auf Geld im Tausch basiert, weiterbewegen, müssen Unternehmen sogar einen gewissen Gewinn machen, um überleben zu können, aber ich kehre zurück zu Aristoteles: Die Gewinnerzielung und dabei insbesondere die Gewinnmaximierung ist nicht der Zweck des Unternehmens. Dem hat Aristoteles einen anderen Begriff gegeben, nämlich im Unterschied zur Ökonomie, wo das Geld nur als ein Mittel für ein florierendes Unternehmen, das dem Gemeinwohl dient, da ist. Da hat Aristoteles gesagt: Wenn die Gewinnerzielung zum Zweck und die Gewinnmaximierung das Ziel wird, dann ist das nicht mehr Ökonomie, sondern Chrematistik!

J. Wiebicke: Was ist Chrematistik?

Ch. Felber: Also wörtlich die Kunst des Geldvermehrens und des sich Bereicherns und heute haben wir aber eben den viel einfacheren Begriff Kapitalismus dafür. Kapitalismus ist wie jeder „ismus“ grundsätzlich erst einmal abzulehnen, weil er in ein Extrem überschießt und um es zu verstehen, das Konzept, muss man einfach nur verstehen, dass das, was vor dem „ismus“ steht, in diesem Fall das Kapital, zum höchsten Wert wird. Alles andere ist weniger wert! Das ist das Extrem des Kapitalismus.

J. Wiebicke: Aber ich versuche mir gerade noch einmal vorzustellen. Sie im Gespräch jetzt mit Betriebswirten und Volkswirten, da werden sie ja ganz bestimmt zu hören bekommen, z.B. die Idee, dass Konkurrenz das Geschäft belebt, dass der Wettbewerb die besten Ideen hervorbringt!

Ch. Felber: Das höre ich tausendmal, aber kurioserweise von allem von Ökonomen und nicht von Psychologen und nicht von Sozialpsychologen und nicht von Neurobiologen und nicht von Spieltheoretikern. Und die Ökonomen haben aus meiner Sicht hier die geringste Kompetenz hier eine solide Meinung anzubieten! Ich habe das wissenschaftlich nachgeforscht in Vergleichsstudien, ob die Konkurrenz stärker motiviert oder die Kooperation stärker motiviert und in fast 90% aller Vergleichsstudien schlägt die Kooperation bei der Motivationswirkung die Konkurrenz haushoch und der Grund dafür ist, dass Kooperation und Konkurrenz unterschiedlich motivieren. Kooperation motiviert über gelingende Beziehungen und das ist das, was wir aus der Naturwissenschaft, Neurobiologie (die Wirtschaftswissenschaft ist keine Naturwissenschaft!) wissen, ist, dass gelingende Beziehungen so stark motivieren und zu höchsten Leistungen motivieren, wie kaum etwas anderes. Es ist nicht so, dass Konkurrenz und Wettbewerb nicht motivieren! Das tut er auch, der Wettbewerb, allerdings eben empirisch schwächer als die Kooperation und das hängt damit zusammen, dass der Wettbewerb uns Menschen anders motiviert und jetzt kommt’s: Hauptsächlich über Angst und das ist nicht nur schwächer, was verständlich ist, denn Angst ist in kurzen Momenten eine extrem sinnvolle Überlebensnotwendigkeit und -einrichtung, aber 40 Stunden in der Woche und 40 Jahre im Leben grundsätzlich aus Angst motiviert zu sein, das ist, glaube ich, nicht eine überzeugende Strategie.

J. Wiebicke: Wenn man jetzt rumfragen würde unter denen, die im System Kapitalismus besonders erfolgreich sind, dann werden diese wahrscheinlich nicht so sehr von Kooperation erzählen, sondern auch eben von der Sinnhaftigkeit von Wettbewerb. Wenn jetzt z.B. Steve Jobs nicht hätte besser sein wollen als andere, dann gäbe es vielleicht kein Smartphone!

Ch. Felber: Also, noch einmal. Zum einen ist es widerlegt, dass zum einen das Motiv, ich möchte besser sein als andere, das ein sinnvolles Motiv ist, weil ich dadurch nicht innenorientiert bin und in mich hineinhorche und schaue, wer ich eigentlich sein möchte und welche Werte ich meinem Leben zugrunde legen möchte, welche Kompetenzen ich entfalten und welchen Sinn ich stiften möchte.

J. Wiebicke: Das sind alles Dinge, die wir zu allererst nicht in der Sphäre der Arbeit machen: In uns hineinhorchen.

Ch. Felber: Da beginnt schon der Systemfehler, weil laut Psychologie sind das, was ich jetzt aufgezählt habe, lauter Grundbedürfnisse im Unterschied zum Wettbewerb. Der Wettbewerb ist kein Grundbedürfnis, sondern einfach nur eine Angewohnheit und ich würde sagen eine schlechte Angewohnheit. Er führt zu einem labileren Selbstwertgefühl, weil, wenn ich davon abhängig bin, dass ich besser bin als der andere, dann ist dieser Zustand, selbst, wenn ich ihn erreiche, fragil und wenn ich ihn erreiche, ist der andere der Schlechtere, und das wirkt sich negativ auf dessen Selbstwertgefühl aus, und zweitens ist es eine extrinsische Motivation, d.h. ich bin eben nicht innenmotiviert, sondern bin außenorientiert und da ist sich die Psychologie vollkommen einig, dass die extrinsische Motivation schwächer wirkt, als die intrinsische Motivation. Das ist ein wenig der theoretische Hintergrund, aber im Vordergrund verwechseln viele Unternehmer*innen Wettbewerb und Kooperation und vieles, was eigentlich eine systemische Kooperation ist, nämlich, dass die Unternehmen sich gegenseitig helfen oder dass es nicht darum geht, besser als der andere zu sein, sondern dass man sich differenziert und spezialisiert und jeder seinen Platz oder seine Nische findet, das wäre eine Kooperation und der Gipfel der Verwirrung ist, dass der lateinische Begriff „Konkurrenz“ das Gegenteil von dem bedeutet, was wir üblicherweise darunter verstehen. Er bedeutet nämlich „miteinander laufen“ und nicht „gegeneinander“, das wäre die „Kontrakurrenz“.

J. Wiebicke: Also, wenn die Psychologen das sagen und die Neuroforscher und wer auch immer, und sie wähnen sie immer auf ihrer Seite, dann muss man doch sagen, unser System ist ein anderes. Ist es deshalb ein unklug gebautes System oder gibt es Dinge, die sie am Kapitalismus, so wie wir ihn kennen, auch bewundern?

Ch. Felber: Also, es ist vierfach unklug gebaut und das heißt nicht, dass alles schlecht programmiert ist, aber wir können es aufdröseln. Erstens, das Ziel soll nicht die Kapitalmehrung sein, sondern die Mehrung des Gemeinwohls. Zweitens, Unternehmen sollen nicht maximal wachsen und gegeneinander agieren, sondern mit anderen gemeinsam agieren und ihre optimale Größe einnehmen. Drittens, belohnt werden sollen Unternehmen, die sich ethisch verhalten, was sich aber nur mit einer Gemeinwohl-Bilanz ausweisen lässt und diejenigen, die ein schlechteres Gemeinwohl-Bilanzergebnis haben, die gehen über kurz oder lang in die ethische Insolvenz.

J. Wiebicke: Also, eine ethische Insolvenz ist auch gleich eine finanzielle?

Ch. Felber: Auch eine finanzielle Insolvenz, die es heute gibt, ist eine ethische Insolvenz, weil hinter der gesetzlichen Verordnung „du musst eine Finanzbilanz hinterlegen und sie muss positiv sein über die Zyklen“….das ist ja eine ethische, moralische Anforderung des Gesetzgebers. Die Moral dahinter ist Transparenz, Information der anderen, Schutz des Eigentums der anderen. Das sind alles Werte, die dahinterliegen. Nur die Frage ist, wie wichtig sind diese Werte im Vergleich zu den verfassungsmäßigen Grundwerten Menschenwürde, Solidarität, Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit und Demokratie, die in der ethischen Bilanz gemessen werden?

J. Wiebicke: Jetzt werden sicher ganz viele, die zuhören und vielleicht heute von der Arbeit nach Hause gekommen sind, fragen, wie kann das denn gehen in meinem Unternehmen eine Gemeinwohl-Bilanz zu erstellen? Was stünde dann in den Büchern drin?

Ch. Felber: Und vielleicht noch ergänzend, so wie das die ersten 500 Unternehmen auch schon geschafft haben, die freiwillig eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt haben. Die Bewegung der Gemeinwohl-Ökonomie ist sogar von Unternehmen ausgegangen und ich selbst habe bisher 4 Unternehmen in die Welt gesetzt und kenne mich daher mit den Grundbegriffen des gegenwärtigen kapitalistischen Markwirtschaftssystems gut aus. Was hinzukäme und was sogar vorangestellt würde, ist jetzt mit der Gemeinwohl-Bilanz: Wir betrachten, wie sich die unternehmerischen Aktivitäten in allen Bereichen auf die Menschenwürde, auf die Gerechtigkeit, auf die Solidarität, auf die ökologische Nachhaltigkeit und Demokratie auswirken und das von den Zulieferern beginnend über alle anderen Berührungsgruppen des Unternehmens, also auch Kunden und die Mitunternehmen, nicht nur die Konkurrenz, sondern auch die Mitunternehmen, bis hin zu den zukünftigen Generationen und den Planeten und dann kann man, wenn viele tausend Menschen lange genug diskutieren, die dafür relevantesten Kriterien finden wie z.B. die Arbeitsbedingungen, wie menschenwürdig sind die, oder wie sinnhaftig ist das Produkt, befriedigt es Grundbedürfnisse oder ist es nur Luxus oder wie groß ist die Einkommensspreizung, sind die größten Einkommen dreimal so groß, zehnmal so groß oder tausendmal so groß wie die geringsten Einkommen? Manche dieser sogenannten ethischen Indikatoren kann man genauso messerscharf mathematisch messen wie Indikatoren der Finanzbilanz und umgekehrt verstecken sich in der Finanzbilanz manche absolut unmessbare, absolut willkürliche Ermessenswerte, wie z.B. der Marktpreis von bestimmten Wertpapieren.

J. Wiebicke: Aber das sind ja lauter Dinge, wenn ich das richtig verstehe, die man ausverhandeln muss. Wo Leute zusammensitzen müssen und überlegen müssen, z.B. was das Maß an Ungleichheit angeht, was wollen wir uns da erlauben im eigenen Laden und was nicht?

Ch. Felber: Da unterscheidet sich die Gemeinwohl-Ökonomie von keinem Gesetz. Jedes Gesetz muss ausverhandelt werden, und jeder Wert muss dekliniert und ausverhandelt werden. Auch Freiheit ist nicht von Natur aus definiert, was sie bedeutet. Jeder kann was anderes unter Freiheit verstehen und Gerechtigkeit genauso. Jeder kann etwas anderes darunter verstehen, trotzdem sind das Verfassungswerte und genauso mit dem Gemeinwohl und deshalb ist unser einziger Vorschlag, dass der Begriff Gemeinwohl nicht von vornherein feststeht. Es gibt weder Gott, noch Kaiser in einer Demokratie, sondern die freien souveränen Bürger*innen, die sollen in den kleinsten politischen Einheiten, also in ihren Kommunen und Städten zusammenkommen in demokratischen Beteiligungsprozessen, die wir designt haben und dort die zwanzig wichtigsten Themen für Lebensqualität, für ein gutes Leben für alle, komponieren und das wäre zunächst erst einmal der lokale Gemeinwohl-Index und der würde dann über ein demokratisches Syntheseverfahren zu einem Gemeinwohl-Produkt von Deutschland, der EU und vielleicht später der UNO synthetisiert, das dann das Bruttoinlandsprodukt als volkswirtschaftlichen Messstab ablösen würde.

J. Wiebicke: Jetzt wird sich jeder fragen, gibt es ein Unternehmen, das möglicherweise ein Produkt herstellt, das alle kennen, das sich solch einer Gemeinwohl-Bilanzprüfung unterzieht, wo also all das, was sie jetzt vorgetragen haben, bereits Praxis ist?

Ch. Felber: Also, die ersten 500 Unternehmen, wie schon erwähnt, die sind wie schon die gesamte Bewegung von unten nach oben gewachsen. Wir haben bei kleinsten, kleinen und mittelständischen Unternehmen begonnen, da haben die größten Unternehmen einige tausend Beschäftigte und in Forschungsprojekten beteiligen sich die ersten DAX-Konzerne, aber die Sparda-Bank München ist jetzt kein unbekanntes Unternehmen, aber es kennen sie auch nicht alle. Ich würde es generisch machen. Bei uns sind biologische Gartenbetriebe und auch Landwirtschaftsbetriebe dabei und Brot und Milch und Obst und Gemüse, das essen wir jeden Tag und das müssen nicht unbedingt Markennamen sein, aber es sind Produkte, die aus Gemeinwohl-bilanzierenden Betrieben stammen!

J. Wiebicke: Das kann ich mir noch gut vorstellen, dass man bei einem kleinen Betrieb eine solche Konsensbildung noch hinkriegen kann, aber bei einem Großbetrieb mit ein paar tausend Leuten, da würde ich gerne noch einmal genauer hingucken, und mir versuchen vorzustellen, wie das genau geht und man dann das Maß der Ungleichheit unhierarchisch diskutiert. Hat der Chef genau so viele Stimmen wie jetzt alle anderen?

Ch. Felber: Also, es gibt Staaten, in denen es bereits schon die Publizitätspflicht gibt. In Skandinavien, da müssen alle Gehälter und Löhne offengelegt werden und damit stehen auch die Unterschiede fest. In den U.S.A. gibt es seit Beginn dieses Jahres zwar nicht die Veröffentlichung pro Person, aber anonym, wie groß die Einkommensspreizung ist, seit 1. Januar 2017, und siehe da, die Stadt Portland in Oregon hat daraus genau das gemacht, was wir vorschlagen, nämlich sie knüpft positive steuerliche Anreize an Unternehmen, die eine geringere Ungleichheit haben. Konkret müssen Unternehmen innerhalb derer die Ungleichheit den Faktor 100 übersteigt, also die höchsten Einkommen hundertmal so hoch sind wie die geringsten Einkommen, die müssen um 10% mehr Körperschaftssteuer zahlen und das geht erst ab diesem Jahr, weil erst ab diesem Jahr zumindest die börsennotierten Unternehmen die unternehmensinterne Ungleichheit sogar publizieren müssen, also nicht nur recherchieren, sondern publizieren müssen und wenn die Ungleichheit den Faktor 250 übersteigt, dann müssen sie sogar plus 25% Körperschaftssteuer zahlen. Nach deutschen oder österreichischen Dimensionen wäre das sogar der doppelte Körperschaftssteuersatz und das ist genau das, was die Gemeinwohl-Ökonomie vorschlägt! Je besser das Gemeinwohl-Bilanzergebnis, desto geringer der Steuersatz, desto geringer die Zollhöhe oder desto einfacher der Marktzugang, Vorrang im öffentlichen Einkauf, günstigere Kredite! Und je schlechter das Gemeinwohl-Bilanzergebnis, desto teurer ist das, so dass im Effekt und darauf läuft das Ganze ja hinaus, die ethischen verantwortungsvollen und bewussten Produkte und Dienstleistungen für die Endverbraucher*innen preisgünstiger sind, als die weniger ethischen Produkte. Das ist genau das Gegenteil von heute.

Anrufer #1: Mir geht es darum, wenn wir darüber nachdenken, können wir im Grunde über ein bedingungsloses Grundeinkommen nachdenken? Denn das ist doch die einzige Möglichkeit, dass eine kapitalistische Situation verändert wird!

Ch. Felber: Zustimmung, dass das bedingungslose Grundeinkommen innerhalb des Kapitalismus eine gute Idee wäre, da wäre ich auch persönlich dafür, weil derzeit viele Menschen ihre Würde verlieren, weil sie vom Arbeitsmarkt ausgegrenzt werden, von einem Lebensstandard sicherlich…

Anrufer #1: Ich bin arbeitslos und selber Hartz4-Empfänger und weiß wovon ich rede! Und da denke ich einfach, wie wir es im Talk und der vorigen Diskussion schon hatten, ein weiteres Wachstum kann doch im Grunde gar nicht mehr weiter funktionieren!

Ch. Felber: Auch da bin ich bei Ihnen. Deshalb schlägt ja die Gemeinwohl-Ökonomie vor, dass wir uns vom Bruttoinlandsprodukt und dessen Wachstum abwenden sollen und stattdessen auf das Wachstum des Gemeinwohl-Produkts unsere Aufmerksamkeit lenken sollen und das Gemeinwohl-Produkt kann nur wachsen, wenn der Ressourcen-Verbrauch schrumpft und wenn die Ungleichheit geringer wird und wenn die Ausgrenzung und die Armut, und dazu zählen Hartz4-Einkommen, zurückgehen, weil Menschen, die heute mit einem unwürdigen Einkommen auskommen müssen, dann ein würdiges Einkommen haben und auch dafür setzt sich die Gemeinwohl-Ökonomie ein. Der einzige Widerspruch wäre: Wir sagen, es gibt immer Alternativen, deshalb ist das bedingungslose Grundeinkommen, so gut ich es finde, nicht die einzige mögliche Alternative und die konkrete Strategie, die wir vorschlagen, ist, dass unter mehreren Vorschlägen, wie denn die soziale Sicherheit und Inklusion für alle erreicht werden kann, dies dann die souveräne Bevölkerung entscheidet, also nicht der Bundestag, der würde die Gesetze machen. Aber die verfassungsmäßige Absicherung der sozialen Sicherheit, dies würde der Souverän beschließen, und wenn das bedingungslose Grundeinkommen das überzeugendste Konzept zur Erreichung sozialer Sicherheit ist, dann würde es ein Element der demokratischen Gemeinwohl-Ökonomie sein.

J. Wiebicke: Schreiber #1 schreibt: „Die Idee des Kapitalismus als systemische Idee mag an ein Ende kommen. Das Grundübel im Fundament des Kapitalismus, das Streben des Menschen nach dem eigenen Vorteil jedoch wird nicht auszurotten sein. Die überwiegende Zahl aller Handlungen wird darauf gerichtet sein, und bestehe dieser Vorteil auch nur in dem Gefühl etwas Gutes getan zu haben. Wahrer Altruismus wird man allenfalls bei einer Mutter gegenüber ihrem Kind finden und selbst da kann man fragen, ob es nicht primär um das Überleben der eigenen Gene im Nachwuchs geht. Es bleibt die Frage, was als eigener Vorteil angesehen wird? Solange monetärer Erfolg aber dazu führt, dass man sich Annehmlichkeiten verschaffen kann, werden die weitaus meisten Menschen auch danach streben!“

Ch. Felber: Ja, das ist ein wunderschönes und eigentlich ein Lehrbuchbeispiel. Man müsste dieses Zitat konservieren und für zukünftige Ökonomie-Lehrbücher anbieten! Ein wunderschönes Beispiel, wie die ökonomische Ideologie, also die wirtschaftswissenschaftliche Ideologie die Köpfe erobert hat und ohne, dass das wissenschaftlich auch nur annähernd haltbar wäre. Weil, es haben zwar die Ökonomen nun 150 Jahre lang gepredigt, dass der Egoismus soweit was Gutes sei, beginnend mit der Bienenfabel von Bernard Mandeville, und da auch ein bisschen Adam Smith, wobei der hat ja auch immer das Gegenteil von dem gesagt, was er davor gesagt hatte, und vor allem nach ihm wurde der Egoismus so richtig kultiviert, nicht einmal durch Darwin, sondern durch die sogenannten Sozialdarwinisten, die doch dem Darwin Dinge unterstellt haben, die er gar nicht so gemeint hat, um den Egoismus in der Wirtschaft zu legitimieren, obwohl der überhaupt keine Notwendigkeit unserer Gene ist. Und das ist ein feiner und ganz entscheidender Unterschied!

J. Wiebicke: Kriegen sie die Bienenfabel schnell erzählt?

Ch. Felber: Die Bienenfabel in aller Kürze erzählt, ist, wenn wir uns alle egoistisch verhalten, wenn jeder an sich selbst denkt, dann entsteht daraus das größtmögliche Gemeinwohl.

J. Wiebicke: Also ausgerechnet das Laster ist am Ende gut für uns alle!

Ch. Felber: Und das ist natürlich wissenschaftlich unhaltbar und ein purer Mythos, aber es ist die perfekte Legitimation für den Kapitalismus und das Ausleben des Egoismus, der eben keine Notwendigkeit unserer Gene ist, sondern nur eine mögliche Option, aber es ist eigentlich ein Laster und der springende Punkt ist, dass die kapitalistischen Systemspielregeln den Egoismus belohnen und deshalb gibt es so weiterverbreitet Gier und Geiz und Egoismus und Maßlosigkeit und Rücksichtslosigkeit und eine Struktur der Verantwortungslosigkeit, wie es die Soziologen sehr schön analysiert haben, aber nicht, weil die Menschennatur so ist, sondern weil die Systemspielregeln so sind und uns dafür belohnen, das ist das Absurde, und die Gemeinwohl-Ökonomie schlägt gar kein anderes Menschenbild vor, das wäre das zweite Missverständnis aus dem Leserbrief, den sie vorhin gelesen haben, sondern die Gemeinwohl-Ökonomie schlägt vor, dass die Systemspielregeln der Wirtschaft stattdessen die heute von weitgehend vielen mehrheitsfähig akzeptierten Beziehungswerte und Verfassungswerte belohnen.

J. Wiebicke: Das muss ich noch genauer verstehen, dass sie sagen, das ist nicht die Natur des Menschen, egoistisch zu sein, sondern es werden bestimmte Anreize gesetzt, dass wir uns in die falsche Richtung entwickeln, so habe ich das verstanden.

Ch. Felber: Zwei Dinge. Erstmal, die Natur des Menschen, die erlaubt uns alles. Sie gibt uns vollkommene Freiheit, wir können extrem grausam sein und industriellen Massenmord begeben, das haben wir bewiesen. Wir können aber genauso gut zärtlich, liebevoll sein und solidarisch wirtschaften, das haben wir genauso oft und sogar noch öfter, sehr oft im Kleinen, bewiesen. Das Entscheidende ist nicht die Menschennatur, sondern es ist die Ethik, nach Adam Smith eine der wichtigsten wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen, und auf der Ethik aufbauend die Spielregeln für die Wirtschaft. Und nochmal, der Kapitalismus oder nach Aristoteles die Chrematistik, belohnt Egoismus, Gier und eigennütziges Streben auf Kosten der Anderen oder eben Profitstreben.

J. Wiebicke: Das heißt, ich werde dahin erzogen?

Ch. Felber: Dahin ideologisch erzogen, nämlich durch die ökonomische Ideologie und dann durch die Anreize der Wirtschaftsordnung, der aktuellen Wirtschaftsordnung, belohnt, weil das billigere Produkt bietet ja nicht der Fairere an, der höhere Löhne zahlt und mehr soziale Sicherheit bietet und die Umwelt mehr schont, sondern das billigere Produkt bietet ja der an, der auf diese Werte pfeift, der aber dadurch einen Wettbewerbsvorteil hat. Und warum hat er einen Wettbewerbsvorteil? Weil der Erfolg von Unternehmen an der Finanzbilanz gemessen wird und das bessere Finanzbilanz-Ergebnis erzielt der Rücksichtslosere und deshalb braucht es die Gemeinwohl-Bilanz, damit wir zuerst einmal differenzieren können, wer achtet und respektiert denn unsere Grundwerte und wer schützt denn die Gemeinschaftsgüter und diese Unternehmen dann dafür relativ belohnen können gegenüber denen, die diese Werte mit den Füßen treten, damit dann die Produkte und Dienstleistungen der ethischeren Unternehmen preisgünstiger werden können für die Konsumenten und die Investoren und damit sich dann die perverse Anreizdynamik unserer Wirtschaft, dass die Unfairen und Rücksichtslosen im Vorteil sind, in einen Wettbewerbsnachteil verkehrt und dann stimmt die Wirtschaftsordnung wieder mit unseren Grundwerten überein.

Anrufer #2: Ich stimme weitgehend mit dem, was ihr Gast sagt, überein, aber ich möchte noch ein wenig darüber hinausgehen. Wir alle kennen, denke ich, das bekannte Buch vom Club of Rome „Grenzen des Wachstums“ und diese Dinge, die dort erwähnt werden, zeigen ganz klar, dass wir unbedingt eine globale gerechte Ökonomie brauchen, denn wir haben es auch alle in den vorigen Tagen gehört, in 20 Jahren wird die Weltbevölkerung 10 Milliarden erreicht haben. Wenn wir es nicht schaffen, die Güter der Welt gerecht zu verteilen und da gibt es ja Möglichkeiten, das eine Christentum, das andere Marxismus! Wenn wir das nicht schaffen, dann wird die Welt mit ziemlicher Sicherheit am Abgrund stehen. Und dazu kann ich vielleicht noch ganz kurz sagen, gibt es einen Satz aus dem apokryphen Thomas-Evangelium und der heißt „Das Reich Gottes ist auf der Welt ausgebreitet, nur seht ihr es nicht!“. Das, was wir brauchen, ist humane Vernunft. Global.

J. Wiebicke: Ob wir dazu nun einen Gottesbezug brauchen oder nicht, dass wird sie beide vermutlich unterscheiden, sie und Ch. Felber, aber die Antwort, die üblicherweise gegeben wird, ist, dass Wachstum genau diese Probleme lösen soll, die der Anrufer gerade benannt hat. Wie sieht es denn aus mit der Wachstumsfrage in dem Konzept von Gemeinwohl-Ökonomie?

Ch. Felber: Also, wir folgen hier einem preisgekrönten US-Amerikanischen Ökonomen, der ein echter Ökonom war, John Kenneth Boulding. Er hat gesagt, wer in einem biophysikalisch begrenzten System, unser Planet Erde, an unbegrenztes Wachstum glaubt, ist entweder ein Idiot oder ein Ökonom, ein neoklassischer, hat er gesagt! Ein echter Ökonom, dem geht es ja nicht ums Wachstum der monetären Kennzahlen und deshalb auch nicht um das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, sondern es geht einem echten Ökonomen um das Haus, und das Haus ist ein menschlicher Haushalt, ein nachhaltiges Unternehmen und eine nachhaltige Volkswirtschaft. Unser gemeinsames Haus, wie es ein gewisser Papst einmal gesagt hat, dieses Haus kommt aus dem Begriff „oikos“, der gleichermaßen in der Ökologie wie in der Ökonomie drinnen steckt. Und es ist ganz pragmatisch, könnte man sagen, wenn wir menschenrechtlich argumentieren, nämlich, wenn wir unseren Kindern und Enkeln die gleichen Lebensrechte und Lebenschancen hinterlassen wollen, die wir selbst vorgefunden haben, dann dürfen wir den Planeten ökologisch nicht schlechter hinterlassen, als wir ihn in einer Generation vorfinden und das würde wiederum ganz nüchtern und naturwissenschaftlich, wenn sie wollen, bedeuten, dass wir das jährliche Angebot des Planeten Erde an Naturressourcen auf alle Menschen aufteilen. Das ist unser jährliches Naturverbrauchsrecht, ich nenne das unser ökologisches Menschenrecht, das ist das gleiche Recht für alle, und auf der Rückseite der Menschenrechtsmedaille ist es ein Schutzrecht des Planeten, da er ja dadurch nicht verschlechtert wird, und unsere Kinder und Enkel dadurch die gleichen Rechte vorfinden und technisch könnte man, wenn der Wille da wäre, jedem marktgängigen Produkt und jeder marktgehandelten Dienstleistung neben der finanziellen Preisauszeichnung, die wir auch kulturell spielend geschafft haben, eine ökologische Preisauszeichnung hinzufügen, und wir bekämen unser ökologisches Menschenrecht am Jahresbeginn auf unser Ökologie-Konto aufgeladen und wir könnten das im Lauf des Jahres verbrauchen. So würden wir alle gleichberechtigt, so wie wir auch alle das gleiche Wahlrecht haben oder alle anderen Grundrechte auch gleich genießen.

J. Wiebicke: Das ist jetzt natürlich, das muss allen klar sein, ein unglaublich utopischer Wurf, dass man ein System entwickelt, das Gerechtigkeit gleich für jeden Menschen auf dieser Erde schaffen will! Aber zurück zu dem Problem, das der Anrufer genannt hat: Dann sieht ja ein solches ökologische Konto, was ihnen und mir dann zusteht, in dem Moment anders aus, wo es nicht mehr 7 Milliarden Menschen auf dem Planeten gibt, sondern 10!

Ch. Felber: Ja, wobei der Unterschied, ob sieben oder zehn Milliarden ist um viele Potenzen irrelevanter, als die Tatsache, dass in einigen Ländern die Menschen ein zehnfaches, ein zwanzigfaches oder bis zum fünfzigfachen dessen verbrauchen, was Menschen in anderen Ländern verbrauchen. Und hier sitzen wir im Glashaus, in Deutschland und Österreich zum Beispiel. Wenn alle Menschen auf der Erde so viel Naturressourcen verbrauchen würden wie der durchschnittliche Deutsche oder der durchschnittliche Österreicher, bräuchte es jetzt schon 3.5 Planeten, d.h. wir sind in der Verantwortung und in der Pflicht unseren Naturverbrauch um den Faktor drei oder vier zu reduzieren. Die gute Nachricht ist allerdings, das bedeutet keinen Verlust an Lebensqualität, sondern es kann sogar mit einer deutlichen Erhöhung der Lebensqualität einhergehen, weil wir dann zwar ein wenig mehr materielle Dinge hätten….

J. Wiebicke: Etwas weniger ist gut!

Ch. Felber: Ja, wir würden den Überfluss abbauen! Wir leben derzeit im extremen Überfluss, weshalb das Glück messbar zurückgeht, die Ängste nehmen messbar zu, die Menschen schlafen schlechter in Deutschland, Depressionen und andere psychische Krankheiten nehmen zu, die Lebensqualität verschlechtert sich auf ganz vielen Ebenen, das Vertrauen, das allerwichtigste überhaupt, nimmt ab, im öffentlichen Raum und generell zwischen den Menschen, die Vereinzelung, die Einsamkeit nimmt zu, d.h. wir leben im dramatischen Überfluss! Und wenn wir auf das Maß der Deckung unserer Grundbedürfnisse materiell herunterkämen, dann hätten wir immer noch genug, um alle unsere Grundbedürfnisse materiell abzusichern. Das ist notwendig für ein glückliches Leben und wir hätten dann viel Freiheit und Zeit, unsere Beziehungen zu pflegen, um an uns selbst zu arbeiten, um die Natur zu erhalten und unseren Kindern und Enkeln die gleichen Rechte zu hinterlassen.

J. Wiebicke: Anrufer #2, ist das ein Glücksversprechen, das sie teilen können?

Anrufer #2: Diese Bemerkung finde ich absolut in Ordnung. Ich habe meine Zweifel mit den 10 Milliarden, ob wir das dann tatsächlich schaffen, aber im Prinzip bin ich absolut einverstanden!

J. Wiebicke:  Schreiber #2 hat geschrieben: „Es gibt auf der Welt so wahnsinnig viele Menschen, die genau das wollen, was Felber beschreibt. Problem dabei, sie sind in viel zu vielen Gruppen und Organisationen und graben sich meist selbst, teils unbewusst, das Wasser ab. Für mich scheint die Gemeinwohl-Ökonomie ein gemäßigter Weg zu sein, der alle diejenigen unter einen Hut bringen kann!“

Ch. Felber: Also, da freue ich mich natürlich über diese Einschätzung, die allerdings mehrfach bestätigt wird, auch durch Umfragen. Die Bertelsmann-Stiftung hat in Deutschland eine Umfrage getätigt: „Wünschen Sie eine andere Wirtschaftsordnung, als die jetztgültige?“ 88% haben sich für eine andere Wirtschaftsordnung ausgesprochen. Die Gemeinwohl-Ökonomie ist bisher im europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss als das höchste Gremium, das bisher darüber geurteilt hat, 9 Monate lang diskutiert worden, und dann mit 86% Stimmenmehrheit positiv angenommen worden und die europäische Kommission wurde aufgefordert, die Gemeinwohl-Ökonomie in den Rechtsbestand der EU und ihrer Mitgliedsstaaten zu integrieren. Das schönste Feedback habe ich bekommen von einem Menschen aus Afrika. Er hat gesagt, die Gemeinwohl-Ökonomie erlaubt uns Menschen, endlich so zu sein, wie wir immer sein wollten. Und gerade auch in der Wirtschaft, wo uns ja die sogenannten Ökonomen immer etwas anderes erzählen, wie der Mensch angeblich sei, was aber nicht zutreffend ist. So, angesichts der Vielzahl an Initiativen, die es gibt, auf die wir auch immer wieder verweisen. Wir verweisen auf die Ansätze der solidarischen Ökonomie, der Postwachstums-Ökonomie, der Gemeinschaftsgüter oder Commons und anderer Alternativen. Und die Gemeinwohl-Ökonomie sagt ja auch nicht, unsere Ideen und Vorschläge sollen umgesetzt werden, sondern wir sagen, im Kern sollen es demokratische Prozesse und Diskussionen geben, wie wir die einzelnen Eckbausteine der Wirtschaftsordnung in der Zukunft gestalten wollen. Wollen wir sie beibehalten, weil sie eh gut sind und funktionieren, wollen wir sie leicht modifizieren, weil wir sie verbessern können oder wollen wir einige, weil sie uns überhaupt nicht weiterbringen durch andere, die uns voranbringen, ersetzen? Und da können dann aus vielen verschiedenen Alternativansätzen die besten Ideen einfließen. Es können von jedem Menschen die besten Ideen einfließen und ich glaube, was die Gemeinwohl-Ökonomie da besonders stark macht, ist ein Entscheidungsverfahren, das ebenfalls nicht wir entwickelt haben: Das systemische Kondensieren kommt von zwei Mathematikern der Universität Graz, die intellektuell beleidigt waren, dass in den meisten demokratischen Entscheidungsprozessen ein Vorschlag auf den Tisch kommt und dann beginnt das große Tauziehen dagegen oder dafür, und dass ist ungefähr das armseligste, wie man sich einen demokratischen Entscheidungsprozess vorstellen kann. Ihre Alternative ist, es kommen mehrere Vorschläge auf den Tisch, die dürfen so unterschiedlich sein, wie sie nur sein können, weil sie eben die Meinungsvielfalt, die es in einer pluralen und demokratischen Gesellschaft gibt, abbilden. Dann wird allerdings der Widerstand gemessen gegen alle Vorschläge und es gewinnt der, der den geringsten Widerstand im gesamten Souverän hervorruft. Das ist meiner Kenntnis nach das bisher intelligenteste Entscheidungsverfahren, das den geringsten Schaden am Souverän durch eine neue Regel oder ein neues Gesetz anrichtet!

J. Wiebicke: Und das ist nicht der Minimalkonsens, der keinen Wert hat?

Ch. Felber: Nein, ich würde sagen, es ist der empathischste Vorschlag, der alle Menschen maximal möglich in den Blick nimmt, weil, sobald ein Vorschlag noch einmal einen Wert übersieht, ein Bedürfnis übersieht, eine Spezialsituation oder eine Minderheit übersieht, dann tritt dort Schmerz auf und es tritt Widerstand auf, und wenn einen Vorschlag diesen Aspekt jedoch noch mitberücksichtigt, dann ist dieser Schmerz vermieden und dann ist der Widerstand geringer und dann ist der widerstandsärmere, weil noch empathischere Vorschlag, gefunden.

J. Wiebicke: Herr Felber, dieses Loblieb auf die Demokratie haben wir gehört! Ich registriere es, aber gerate trotzdem in einen Widerspruch hinein, der mir aufgefallen ist beim Lesen ihres Buches. Denn da habe ich den Satz gefunden, den bringe ich jetzt überhaupt nicht zusammen mit ihrem Feedback aus Afrika, dass Menschen auf Grund dieses Konzeptes endlich so sein können, wie sie eigentlich sind, denn ihr Satz heißt: „Viele von uns sind nicht intrinsisch motiviert, weil sie sich nicht gut kennen und in sich nichts Sinnvolles erfahren, das sie zu Höchstleistungen ohne jede Konkurrenz treiben könnte. Sie sind innerlich leer und können nur Sinn von außen beziehen.“ Als ob die meisten Menschen ja gar nicht wüssten, was der richtige Weg ist?

Ch. Felber: Die meisten vielleicht nicht, aber ein doch relevanter Teil der Bevölkerung. Die sind aber auch keine Meinungsbildner, die folgen eben der jeweils herrschenden Meinung, ganz egal, wie die ist. Wenn die herrschende Meinung ist, die sagt, es gibt eine naturgesetzliche globale Konkurrenz und du musst dich anpassen und du musst versuchen, darin zu bestehen und der Bessere zu sein, dann verhalten die sich entsprechend. Wenn aber die Ansage wäre, wir haben eine solidarische und eine kooperative Weltwirtschaft, in der wir uns gegenseitig helfen und versuchen, gemeinsam erfolgreich zu sein, dann werden die sich ebenso verhalten. Und jetzt gibt es ein paar Zwischenschritte, wie z.B. empirische Studien von Kindern, die sowohl Kooperationsspiele erfahren haben, als auch Wettbewerbsspiele und sich dann danach aussuchen durften, welche sie bevorzugen, und die Präferenz ist ganz eindeutig zugunsten der Kooperationsspiele, wo alle gewinnen, wo nicht ein Teil immer wieder verliert und im schlimmsten Fall, wenn der Wettbewerb auch zur Kultur wird, dann die, die verlieren, als Loser geächtet und beschimpft werden. Und in der Wirtschaft ist das ja noch schlimmer, weil die Loser verlieren ja dann ihre Existenz und die haben dann am Ende eine Sozialhilfe oder Hartz4 und sie sind de facto aus dieser Gesellschaft ausgeschlossen. Und wenn das sich globalisiert, der zunehmende Ausschluss von Menschen aus dem Wirtschaftssystem, aus dem wirtschaftlichen Wohlstand, der wirtschaftlichen Teilhabe und der politischen Partizipation, dann sehen wir die Saat für einen globalen Terrorismus.

J. Wiebicke: Und warum haben Generationen so gerne „Monopoly“ und „Mensch ärgere dich nicht“ gespielt?

Ch. Felber: Also, bei „Monopoly“ war eigentlich die Intention aufzuzeigen, wie fatal der Kapitalismus funktioniert!

J. Wiebicke: Das ist nicht der Sinn des Spiels. Der Sinn des Spiels ist, und da haben viele Vergnügen daran gehabt, die Schlossallee zu kriegen!

Ch. Felber: Also, ich kann mich erinnern, ich habe „Monopoly“ gespielt und es war immer frustrierend, weil der, der als Erstes ein Hotel gehabt hat oder ein Schloss, dann das Spiel gewonnen hat und das war aber nicht Leistung, sondern das war Glück und Zufall und deshalb haben wir uns nicht besonders wohl gefühlt. Und deshalb haben wir indirekt die Intention des „Monopoly“-Spiele-Herstellers, dass er sozusagen aufzeigen wollte, wie extrem, fachtechnisch würde man sagen positiv rückgekoppelt, das funktioniert, nämlich: Je reicher und mächtiger und größer jemand ist, desto leichter wird es, noch schneller reicher, mächtiger und größer zu werden! Das ist genau die falsche Programmierung. Nämlich eine positive sich selbst-verstärkende Rückkopplung und es müsste genau anders sein. Es müsste der Start allen erleichtert werden durch Förderung für den Einstieg ins Erwerbsleben oder auch in die Unternehmensgründung. Wir gründen gerade eine Bank und ich weiß, wie schwierig es ist, ein neues Unternehmen zu gründen! Und dann sollten auf den freien Märkten die, die sich ethischer verhalten, belohnt werden, und dann, wenn die Unternehmen größer werden, dann sollte das Größer-Werden und Immer-weiter-Wachsen immer schwerer werden bis zu einer absoluten Obergrenze!

J. Wiebicke: Aber wissen sie, das ist ein Punkt, der mich stutzig macht. Wenn sie so selbstverständlich sagen „wenn sich jemand ethisch verhält?“. Was das heißt sich ethisch zu verhalten, wenn man ein paar Mal diesen Freitag hier gehört hat, dann weiß man, es gibt nicht eine Ethik, sondern es gibt viele und in harter Konkurrenz, und das auch schon seit Aristoteles.

Ch. Felber: Ja, aber es ist eine Irreführung, dass wir deswegen keine gemeinsamen Entscheidungen treffen könnten. Erstens, jedes Gesetz, jedes Gesetz von den zehntausend Gesetzen ist letztlich eine Werteentscheidung. D.h., obwohl wir unterschiedliche Haltungen zu jedem politischen Thema haben, auch unterschiedliche Zugangsweisen, das hindert uns aber nicht daran in einer Demokratie doch Entscheidungen zu treffen. Und wie vorhin schon diskutiert, kommt es eben darauf an, gute Entscheidungsverfahren zu finden, die eine möglichst große Vielfalt der Perspektiven in die gemeinsame Entscheidung integrieren, und die zweite Nachricht ist besser: Auch wenn es den sogenannten Wertepluralismus gibt und jeder Mensch vielleicht eine andere sexuelle Präferenz hat, wobei das keine Grundwerte sind, vielleicht ist der Grundwert die Freiheit in der Sexualität, und dann hat aber jeder Mensch eine andere Orientierung und Präferenz, das ist zum Glück kein Widerspruch! Und die gute Nachricht ist, dass die Grundwerte universell sind und zeitlos und das schon seit Aristoteles und deshalb ist der Gemeinwohl-Begriff das schönste Beispiel. Ein St. Gallener Wirtschaftsethiker hat das recherchiert und das Ergebnis war: Es gibt keine Kultur, die den Gemeinwohl-Begriff, den Gemeinwohl-Wert nicht kennt. Er heißt vielleicht anders. Er heißt vielleicht „buen vivir“ in Lateinamerika, er heißt vielleicht „Ubuntu“ in Afrika, er heißt vielleicht „Dharma“ im Buddhismus oder Bruttonational-Glück in Bhutan, aber es gibt nicht nur den Gemeinwohl-Grundwert, sondern auch die Grundwerte der Solidarität, der gerechten Verteilung, der ökologischen Nachhaltigkeit und des Respekts vor der Natur oder vor der Schöpfung und deshalb gehen wir zwar von unterschiedlichen Standpunkten und Meinungen aus, aber die große ethische Grundierung, die erlaubt uns intelligente Entscheidungen zu treffen und was ich eigentlich sagen will: Obwohl breite Mehrheiten gegen Kapitalismus und gegen Chrematistik sind und für eine ethische Gemeinwohl-Ökonomie wären, ist trotzdem der Kapitalismus im Amt und das ist doch die absurdeste Widerlegung, dass wir keine gemeinsamen Entscheidungen finden könnten. Wir haben derzeit eine Entscheidung, obwohl 90% dagegen sind, und das ist dann eine Demokratie-Frage…

J. Wiebicke: Die Bertelsmann-Umfrage in allen Ehren, aber man wird auch sagen können, dass der ausgerechnet so ökologisch problematische Lebensstil des Kapitalismus, Konsumkapitalismus, natürlich der populärste ist, den wir auf diesem Planeten bislang hatten!

Ch. Felber: Ja, weil wir so erfolgreich ausblenden, was der alles für Schäden anrichtet, und wir haben ja keine freie Wahl zwischen der einen Option, nämlich kaufe ich diesen Artikel? Aber ich weiß ja nicht, welche Umweltschäden, welches menschliches Leid, welche sozialen Schäden, welche Menschenrechtsverletzungen und welche Demokratieschädigungen der alles beinhaltet. Wüsste ich das, dann würden schon die Entscheidungen sehr viel anders aussehen. Dafür steht die verpflichtende Gemeinwohl-Bilanz, in der Unternehmen eben alles offenlegen müssen. Dann können wir uns informieren und da haben wir erstmal eine informierte Kaufentscheidung und zweitens: Es müssen dann natürlich auch die ethischeren Produkte, und die Menschenrechte sind definiert, das ist keine….also, auch da nochmal, das auch die ökologische Landwirtschaft gefördert wird, das ist schon definiert, das müssen wir gar nicht neu definieren. Und das die Gerechtigkeit sagt, es darf zwar Ungleichheit geben, aber sie muss begrenzt werden und dazu gibt es auch hochsolide Umfragen, und das man halt dann diejenigen Unternehmen, die zwar eine Ungleichheit dulden, aber begrenzt, die ökologische Landwirtschaft statt Agro-Industrie betreiben, und die sich keinerlei Menschenrechtsverletzungen in der gesamten Zuliefererkette zuschulden kommen lassen, dass man die dann steuerlich und bei Zöllen und bei öffentlichen Aufträgen besser behandelt, das genießt eigentlich schon Konsens und das schönste Beispiel, dass das Konsens genießt, ist nicht nur Portland, das ich schon zitiert habe, nämlich der grundlegende Wert, die Ungleichheit darf nicht zu exzessiv werden, sondern ist Valencia, wo vier Gesetze schon zum Teil schon beschlossen, zum Teil auch schon entschieden sind. Erstes Gesetz: Alle Unternehmen werden eingeladen, nicht verpflichtet, sondern eingeladen, eine Gemeinwohl-Bilanz zu erstellen. Zweitens wird ein landesweites Register aufgebaut, wer hat eine auditierte, eine extern geprüfte Gemeinwohl-Bilanz und drittens werden dann Unternehmen, die eine solche auditierte Bilanz vorweisen können mit einem guten Ergebnis, je nach Ergebnis, dann eben im öffentlichen Einkauf bevorzugt oder mit niedrigeren Steuern oder günstigeren Krediten belohnt.

J. Wiebicke: Schreiber #3 schreibt: „Ich frage, ob der Ansatz von Amartya Sen und Martha Nussbaum weiterführt? Ziel des Befähigungsansatzes ist es den Wohlstand in einer Gesellschaft mit mehreren Kenngrößen zu erfassen. Bis dahin war es in der Wohlfahrtsökonomik üblich eine Einkommensgröße als ein-dimensionalen Maßstab zu verwenden. Im Vordergrund steht die Frage, was der Mensch für ein gutes erfüllendes Leben benötigt? Materielle Güter und Ressourcen werden für diesen Zweck als wichtige Mittel, aber nicht als Selbstzweck betrachtet. Darüber hinaus geht es um Befähigungen, über die der Mensch verfügen muss, damit er sein Leben erfolgreich gestalten kann! Die Frage nach den Befähigungen geht über die Konzepte, die sich für den Lebensstandard und die Menschenrechte konzentrieren, insoweit hinaus, als sie die Forderung an die Gesellschaft beinhaltet, aktiv zur Entwicklung eines besseren Lebens aller ihrer Mitglieder beizutragen.“

Ch. Felber: Auch hier kann ich voll und ganz zustimmen. Ich zitiere auch Amartya Sen und lese Martha Nussbaum und würde noch Manfred Max Neef, einen der vielleicht wichtigsten Bedürfnisforscher aus Chile ergänzen. Zunächst zeigt das wunderschön, dass es eben nicht ein Freiheitsverständnis gibt, speziell das Freiheitsmissverständnis, das derzeit in der sogenannten freien Marktwirtschaft oder im Freihandel oder in der Unternehmensfreiheit, nämlich ohne Verantwortung und Rechenschaftspflicht, enthalten ist. Das ist eine mächtige Manipulation und Eindimensionalisierung des Freiheitsbegriffs, dem Amartya Sen einen hochpluralen Freiheitsbegriff entgegengesetzt hat und gesagt hat, es gibt viele Freiheiten und am freiesten sind wir, wenn wir all diese Freiheiten genießen und damit sind wir schon beim Gemeinwohl-Produkt. Im Gemeinwohl-Produkt könnte man auch so sagen, ist die Summe unserer lebenswichtigen Freiheiten, nämlich die Freiheit gesund zu sein, die Freiheit eine kostenlose hochqualitative Bildung zu genießen, die Freiheit demokratisch mitbestimmen zu können, die Freiheit die materiellen Ressourcen unaufwändig mir aneignen zu können, die ich für die Abdeckung meiner Grundbedürfnisse brauche, die Freiheit ausreichend Zeit zu haben, um meine Beziehungen zu pflegen und auch an meiner Persönlichkeit zu arbeiten.

J. Wiebicke: Jedes zehnte Berufsjahr ein Freijahr, habe ich gelesen.

Ch. Felber: Das wäre ein ganz großer Fortschritt, dass wir nicht zu Workaholics, die Burn-out gefährdet und stresskrank sind im Land mit dem höchsten historischen Wohlstand je, werden, sondern dass wir eben die Marktwirtschaft relativieren und sagen: Sie ist ein hilfreiches Werkzeug. Ich schätze sie sehr, aber sie sollte nicht unser ganzes Leben einnehmen und es sollte zum einen die Erwerbsarbeitszeit weiter sinken. Wir haben bei 80 Stunden begonnen. Jetzt stehen wir bei 38 bis 40 Stunden und das kann durchaus noch ein bisschen weiter hinuntergehen. Nicht, um dann in der Hängematte zu liegen, das wollen Menschen ja nur, um sich auszuruhen von ihren freiwilligen Tätigkeiten und die freiwilligen Tätigkeiten, die brauchen Zeit und das ist eben die Arbeit für sich selbst, die Beziehungspflege, das ist die Gemeinschaftsarbeit und das sind auch nicht-monetäre und vor allem nicht den Eigennutz voranstellende Formen des Wirtschaftens.

J. Wiebicke: Herr Felber, letzte Frage: All das, was sie jetzt beschrieben haben, das wird als völlig unblutiger Prozess laufen, weil sich Bewusstseinsbildung durchsetzt und weil am Ende auch die Aktionäre von DAX-Unternehmen sagen, was soll ich mit meiner Dividende? Ich habe auf falsche Glücksgüter gesetzt?

Ch. Felber: Die Gemeinwohl-Ökonomie schlägt vor, dass die Ungleichheit bei Einkommen, bei Vermögen, bei Erbschaften und bei Unternehmensgrößen verringert werden soll und das würde selbstverständlich auch eine Änderung der Machtverhältnisse mit sich bringen. Allerdings den Weg, den wir vorschlagen, der ist Demokratie und die haben wir jetzt, und wenn die Souveräne entscheiden, dass die Ungleichheit geringer sein soll, dann wird es einfach nicht mehr möglich sein, das sechstausendfache zu verdienen des geringsten Einkommens, aktueller Ist-Stand in Deutschland, oder das dreihundertsechzigtausendfache, wie es in den U.S.A. der aktuelle Stand ist. Den Beginn haben aber schon die ersten Parlamente gemacht. Ein Schweizer Kanton hat entschieden, dass in den öffentlichen Banken des Kantons die höchsten Einkommen nicht mehr als das zehnfache des geringsten Einkommens übersteigen dürfen. Und der härteste Knackpunkt wird vermutlich das Privateigentum sein und um hier das Instrument der Enteignung zu vermeiden, wäre der Vorschlag, dass man das über das Erbrecht regelt. Und der Weg wäre, es sei zwar den Vererbenden unbenommen, den sogenannten Hinterlassenden, über ihre Hinterlassenschaft zu verfügen, aber die, die das Erbe antreten, die haben es ja noch nicht und die haben auch nicht dafür gearbeitet, die dürfen das nicht in jeder unbegrenzten Größe antreten und sich aneignen.

J. Wiebicke: Jetzt sind wir schon im Kleingedruckten gelandet. Wer das genauer wissen will, greift zum Buch von Christian Felber „Gemeinwohl-Ökonomie“, erschienen im Verlag Deutike! Teilen sie den Link zum philosophischen Radio!

Christian Felber im philosophischen Radio im WDR 5 – 2019

Das philosophische Radio mit Jürgen Wiebicke vom 11.10.2019 in Köln

J. Wiebicke: Freunde der Weisheit aufgepasst! Es dürfte eine halbe Million an jungen Menschen geben, die irgendwas mit Wirtschaft studieren: BWL, VWL, Management, Wirtschaftsinformatik, wie auch immer die einzelnen Studiengänge heißen mögen. Wer diese Fächer belegt oder schon im reiferen Semester ist, also fertig studiert hat, muss jetzt mal ganz stark sein, denn unser heutiger Gast wird ihnen zurufen: „This is not economy!“. Das ist gar nicht Ökonomie, was man in den Lehrbüchern findet, sondern nur eine Schrumpfform davon und obendrein ideologisch aufgeladen. Höchste Zeit für eine Revolution in der Wirtschaftswissenschaft. Christian Felber versucht seit einigen Jahren die Idee einer Gemeinwohl-Ökonomie zu verbreiten und steht sowieso im Clinch mit der sogenannten Mainstream-Ökonomie. Gibt es Alternativen zu unserem Wirtschaftssystem oder hat sich das alles, was wir praktizieren, alles in allem, relativ gut bewährt? Das ist von ihrer Seite eher ein Einwurf von der Seitenlinie. Sie sind selbst kein Ökonom!?

Ch. Felber: Ich bin kein akademischer Ökonom, habe versucht Universal-Wissenschaften zu studieren, darum verstehe ich auch die Wirtschaft und die Wirtschaftswissenschaft, wenigstens einen Teil davon. Nach zwanzigjähriger Intensivbefassung sowie mit wirtschaftlicher Praxis und Wirtschaftstheorie und vor allem mit der Entdeckung der ursprünglichen Bedeutung von Oikonomia, würde ich mich heute, nach zwanzig Jahren, eigentlich als echten Ökonomen bezeichnen und eben nicht mehr als Alternativ-Ökonomen.

J. Wiebicke: Was fällt ihnen denn auf, wenn sie so klassische Lehrbücher studieren?

Ch. Felber: Mir fällt auf, dass die Lehrbücher die Wirtschaft aus dem Nichts heraus erklären, also eigentlich aus einer Art Bewusstlosigkeit heraus. Es gibt keine Geschichte. Es gibt keine wissenschaftstheoretische Selbstreflexion, es gibt keine Kontexte, also zum Beispiel die demokratische Gesellschaft, die kulturellen Werte oder vor allem die ökologischen Lebensgrundlagen der Wirtschaft, das fehlt in den meistverwendeten Lehrbüchern und es ist eine unglaubliche Verkürzung und Vertunnelung des wirtschaftswissenschaftlichen Blicks und der wirtschaftswissenschaftlichen Bildung, dass dann gar nichts Vernünftiges herauskommen kann, als der Blick auf nackte Zahlen, die alle Werte vergessen lassen.

J. Wiebicke: Über die Werte müssen wir heute Abend natürlich sprechen, aber dann ist am Anfang immer der Markt?

Ch. Felber: In den meist verwendeten Lehrbüchern ist tatsächlich ganz zu Beginn schon der Markt, Preise und Modelle und nichts und das ist schlimm und darf nicht so sein, deshalb melde ich mich prominent zu Wort!

J. Wiebicke: Wobei man natürlich sagen muss, wir haben uns im Verlauf des Tages auf ganz verschiedenen Märkten bewegt, also da spielt jedenfalls momentan die Musik in der Wirtschaft!

Ch. Felber: Es ist auch gar nichts gegen Märkte einzuwenden, aber bevor man über Märkte spricht, sollte man darüber sprechen, welche Orte des Wirtschaftens gab es in der Geschichte? Die Oikonomia zum Beispiel bezieht sich auf Subsistenzlandwirtschaft und ganz ausdrücklich nicht auf Märkte. Die erste Oikonomos, das war die Hausfrau im alten Griechenland, die befriedigt die menschlichen Grundbedürfnisse, beginnend mit dem Gebären und dem Stillen und das ist eigentlich die intimste und ursprünglichste Ökonomie, die mit in den Blick genommen werden müsste. Es gibt Gemeinschaftsgüter und es gibt öffentliche Güter, die alle ihren Stellenwert haben. Und all das ist zuerst einmal zu untersuchen, bevor man sich eine der Wirtschaftswissenschaften herauspickt, und man mag sich auch hier wiederum verschiedene Möglichkeiten, wie man Märkte gestalten kann, vorstellen. Stattdessen werden Märkte üblicherweise als Naturphänomene dargestellt. So funktionieren Märkte, so funktioniert die Wirtschaft, anstatt zu differenzieren: Märkte können kapitalistisch designt werden, dann haben wir Kapitalismus. Märkte können aber auch ethisch designt werden, dann hätten wir z.B. eine Gemeinwohl-Ökonomie.

J. Wiebicke: Ich habe darüber nachgedacht, was sie gesagt haben. Sie haben von der Oikonomia gesprochen. Sie haben angedeutet, dass sie sich Anregungen aus der griechischen Antike holen und ich weiß nicht, ob es nur mir so ging, aber da bekommt man einen Schreck, ob sie dann auch tatsächlich wollen, dass wir in der Zukunft wieder auf einem solchen Niveau leben werden?

Ch. Felber: Selbstverständlich nicht. Darum geht es auch nicht. Ich möchte auch nicht in das Patriarchat zurück des alten Griechenland, und ich möchte selbstverständlich nicht zurück in die Staatengesellschaft des alten Griechenland. Das unterstreiche ich natürlich auch im Buch. Worum geht es bei der Unterscheidung von Oikonomia nach Aristoteles und ihrem Gegenteil Chrematistike oder heute Kapitalismus? Und Aristoteles sagt: In der Oikonomia sind Geld und Kapital Mittel, um das Ziel der Oikonomia zu erreichen: Das Wohl aller Haushaltsmitglieder. Wenn aber Streben nach Geld und die Vermehrung von Kapital zum Zweck der wirtschaftlichen Tätigkeit würde, dann wäre es gar keine Oikonomia mehr, sondern Chrematistike, die Kunst des Gelderwerbens und sich Bereicherns. Wir verwenden diesen Begriff natürlich nicht mehr. Wir sagen Kapitalismus dazu, aber wir verdanken Aristoteles diese wunderbare Unterscheidung, dass Kapitalismus und Ökonomie Gegenteile sind.

J. Wiebicke: Ja, wobei, ich antworte mal mit dem, was wir dem Kapitalismus verdanken. Der, wenn man das betrachtet in der Entwicklung der Menschheit, von sich behaupten kann, dass er ziemlich nah dran ist an den Bedürfnissen der Menschen, oder?

Ch. Felber: Aristoteles ist sehr fein in seiner Unterscheidung. Er unterscheidet: Kapitalismus ist der Einsatz und die Investition von Kapital um der Mehrung des Kapitals willens mit den Auswüchsen des globalen Finanzkapitalismus, systemrelevante Banken, die Immobilien-Derivate vertreiben, die keine Werte schaffen, sondern zerstören oder der Gemeinwohl-orientierte Einsatz von Geld und Kapital als Mittel, wobei immer der übergeordnete Zweck feststeht: Es dient immer der Menschenwürde, der gerechten Verteilung, dem gesellschaftlichen Zusammenhalt und dem Gemeinwohl. Und das große Glück ist, dass das bis heute so in der bayerischen Verfassung steht. Erstens, das Kapital ist nur ein Mittel zur Entwicklung der Volks-Wohlfahrt und dass, ich zitiere jetzt wörtlich aus der bayerischen Verfassung, die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dem Gemeinwohl dient. Das ist zu zunächst ein feiner, aber ganz wesentlicher Unterschied, wohin das Kapital investiert wird, und welche konkreten Wirtschaftstätigkeiten sich dadurch entfalten können.

J. Wiebicke: Es ist ja so, dass Gemeinwohl ein ähnlich diffuser Begriff ist wie Menschenwürde, dass heißt es kann sein, dass zehn verschiedene Menschen zehn unterschiedliche Dinge mit dem Begriff des Gemeinwohls verbinden.

Ch. Felber: Das muss bei allen Leitwerten so sein. Das gilt auch für Freiheit und die Gerechtigkeit oder die Demokratie. Da darf auch grundsätzlich jeder Mensch eine eigene Vorstellung von diesen Grundwerten haben. Die müssen wir aber in demokratischen Verhandlungen konkretisieren. Das haben wir mit der Freiheit geschafft und haben das vor allem mit der Menschenwürde geschafft durch die Definition der Menschenrechte als deren Konkretisierung. Mit dem Gemeinwohl gibt es da auch schon erste Versuche, zum Beispiel, dass die Vereinten Nationen 2015 anstelle des eindimensionalen Brutto-Inlands-Produkts, das nur monetäre Werte aggregiert, 17 verschiedene Ziele, soziale Ziele, ökologische Ziele, Gesundheitsziele, demokratische Ziele definiert hat. Das ist bereits so etwas, was wir uns vorstellen. Wir stellen es uns noch ein wenig charmanter vor: Wir stellen uns vor, dass die souveränen Bürger*innen sich versammeln und aus allen Vorstellungen von einem guten Leben für alle, die es gibt, für Lebensqualität und Gemeinwohl, dass die zwanzig allerwichtigsten zusammenkomponiert werden zum Gemeinwohl-Produkt, dass heißt eine hochdemokratische Definition des Gemeinwohl-Produkts und Aufgabe der Wirtschaftspolitik ist dann das Gemeinwohl-Produkt zu steigern und nicht das monetäre Unternehmens-Produkt zu steigern.

J. Wiebicke: Ich habe aus etlichen Zuschriften herausgelesen, dass es den Wunsch gibt, etwas darüber zu erfahren, ob sich tatsächlich etwas Praktisches schon sagen lässt über eine andere Art des Wirtschaftens oder ob wir heute Abend stecken bleiben in einer Kritik des Kapitalismus und gleichzeitig darauf verweisen müssen, dass da die Schublade mit den Alternativen noch ziemlich leer ist.

Ch. Felber: Ich kann sofort in die Praxis, die seit 9 Jahren zumindest von Seiten der Gemeinwohl-Ökonomie entwickelt wird, einsteigen. Ich habe gestern die 63. Regionalgruppe der Gemeinwohl-Ökonomie in Deutschland konkret an der Universität Flensburg gegründet und 500 Unternehmen haben bereits freiwillig eine solche Gemeinwohl-Bilanz erstellt. Dabei wird neben der Finanzbilanz oder eigentlich vor der Finanzbilanz gemessen, inwieweit sie die Menschenwürde tatsächlich behandeln, wie sich die Produkte auf das Weltklima, auf die Artenvielfalt, auf den sozialen Zusammenhalt, auf die Verteilung auswirken und haben da schon seit 9 Jahren eine erste wissenschaftliche Studie, dass durch die Erstellung der Gemeinwohl-Bilanz der Unternehmen, also dadurch, dass sich der Fokus ihrer Aufmerksamkeit von den Finanzkennzahlen auf die gesellschaftlichen Grundwerte richtet, dass sich natürlich ihre Performance und ihre Leistung für das Klima, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, für die gerechte Verteilung stark verbessert hat und dass sich sogar, und das ist eine sehr positive Nachricht für unsere Alternative, selbst innerhalb der heutigen systemwidrigen Bedingungen, wo die Unternehmen, die die Gesellschaft schädigen, weil sie Kosten externalisieren und auf zukünftige Generationen abwälzen, einen Wettbewerbsvorteil haben, weil sie einen Preisvorteil haben, selbst innerhalb dieser systemwidrigen Bedingungen verschlechtert die Erstellung einer Gemeinwohl-Bilanz nicht das Ergebnis der Finanzbilanz.

J. Wiebicke: Das genau hätte ich wissen wollen, ob man dem Gemeinwohl dienen kann in einem Unternehmen und trotzdem Gewinne machen darf?

Ch. Felber: Selbstverständlich! Kapital und Geld sind auch in der Gemeinwohl-Ökonomie wertvolle Mittel, aber eben nur das, sie sind Mittel. Auch ein Gewinn muss gemacht werden, sonst kann ein Unternehmen in einer arbeitsteiligen Marktwirtschaft nicht überleben, aber der Gewinn ist nicht der oberste Zweck, so wie heute in den wirtschaftswissenschaftlichen Lehrbüchern gelehrt wird, wo gesagt wird, dass dafür Unternehmen da sind Gewinne zu machen. Wir sagen Unternehmen müssen weiterhin Gewinne machen, als Mittel und Bedingung, aber der Zweck ist, dass sie einen positiven Beitrag zum Gemeinwohl leisten, wie es auch im Grundgesetz steht, Artikel 14: Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch muss auch der Allgemeinheit dienen. Und die Innovation, die wir ergänzen, ist, dass wir das lediglich messen und dann die eigentliche Innovation, Unternehmen, die mehr zum Gemeinwohl beitragen, dafür belohnen, durch niedrigere Steuern, durch günstigere Kredite und durch freieren Handel oder durch Vorrang beim Einkauf.

Anruferin #1: Ihr Gesprächspartner hat mir schon sehr aus dem Herzen gesprochen in der Erklärung, was Oikonomia ist. Was ich zu bemerken habe, war, dass ich schon seit Jahren sage, dass mir das, was ich als Wirtschaftsethik oder Ethik in der Wirtschaft bezeichne, fehlt, einfach in dem Sinn, dass alles nur auf Gewinnmaximierung, Optimierung, etc. ausgerichtet ist. Und diese allgemeine gesellschaftliche Verantwortung fehlt mir da, wobei ich nicht weiß, was gelehrt wird, sondern ich messe das daran, was ich via Medien erfahre oder verstehe.

J. Wiebicke: Wo es auch mal spannend wäre zu erfahren, ob sie auch schon einmal in einem Unternehmen gearbeitet haben?

Anruferin #1: Nein, ich bin nicht Wirtschaftsökonomin, sondern bin eine vollkommene Laiin, die aus ihren Eindrücken und Gefühlen spricht.

J. Wiebicke: Und diese Eindrücke sagen ihnen, das wir etwas Größeres grundsätzlich umstrukturieren müssen oder nur an kleinen Schrauben drehen? Das ist für mich noch nicht völlig klar?

Anruferin #1: Ich denke, wohl auch grundsätzlich, weil man nämlich allgemein, die Verantwortung der Ökonomie, das fehlt mir, das und wir müssen auch etwas planerisch weiterdenken. Wir können nicht nur denken, wir müssen wachsen, wachsen, wachsen! Wir müssen auch mal überlegen, wie werden wir damit fertig, wenn es nicht immer Wachstum gibt und es trotzdem für alle reichen soll, woran auch alle partizipieren sollen?

J. Wiebicke: Das ist gut, dass sie die Wachstumsfrage ansprechen, denn Herr Felber, wenn sie das einmal auf die 500 Unternehmen beziehen, die sich diesem Gedanken von Gemeinwohl-Ökonomie verpflichtet haben, die werden doch auch wachsen wollen?

Ch. Felber: Wenn sie noch zu klein sind, eine sinnvolle Größe einzunehmen, auf jeden Fall. Wir empfehlen den Unternehmen, definiert eure optimale Größe und das kann in vielen Fällen eine größere Größe als heute sein und in anderen vielen Fällen kann die optimale Größe eine sehr viel kleinere sein. Bsp.: Deutsche Bank, sie hatte 1980 eine Bilanzsumme von 50 Milliarden €. Das würde ich vorschlagen als die maximale Größe, die eine Bank überhaupt erreichen darf! Zwischenzeitlich hat sie eine Bilanzsumme von 2 Billionen € erreicht und das ist viel zu groß. Sie muss viel kleiner werden, damit sie die Demokratie nicht gefährdet durch einen Einfluss, aber winzige Unternehmen, die vielleicht 20 Beschäftigte haben und ausgezeichnete Naturprodukte herstellen, können durchaus doppelt so groß werden und viermal so groß werden. So gesehen haben wir keinen dogmatischen Zugang. Wie bei Lebewesen. Jedes Lebewesen hat eine Wachstumsphase. Wachstum ist nichts Schlechtes, aber wenn ein Lebewesen eine optimale Größe erreicht hat, wächst es nicht weiter und das ist ein Naturgesetz. Das muss in der Wirtschaft nicht so sein, aber es ist ein schöner Orientierungspunkt auch für die Größe von Unternehmen.

J. Wiebicke: Ja, wobei, wenn sie jetzt mit Verantwortlichen von größeren Unternehmen sprechen werden und ihnen diese Vision vortragen, dann werden diese ihnen sagen, wenn ich zur Schrumpfung gezwungen werde, dann were ich irgendwann geschluckt. Dann geht es nicht darum, 1%, 2% weniger irgendwie zu verdauen, sondern da geht es um die Existenz der Unternehmen selber!

Ch. Felber: Natürlich müssen die Wettbewerbsbedingungen gleich sein. Die Größengrenze muss für alle gleich gelten, damit nicht die, um beim Beispiel der Deutschen Bank zu bleiben, die von 2 Billionen € Bilanzsumme auf 50 Milliarden € Bilanzsumme schrumpfen (das ist immer noch größer als die größte Sparkasse in Deutschland), von anderen Unternehmen, die hier nicht den neuen Vorgaben folgen, geschluckt werden. Also, gleiche Wettbewerbsbedingungen gibt es auch in der Gemeinwohl-Ökonomie. Vielleicht bei der Gelegenheit: Wir wollen die soziale Marktwirtschaft wieder in Erinnerung rufen, aber nicht zurück zu ihr, sondern sie weiterentwickeln. Zu einer ökologisch nachhaltigen, klimapositiven Marktwirtschaft, aber auch einer humaneren und demokratischeren Marktwirtschaft. Die Anruferin hat von mehr Mitbestimmung gesprochen, als in der bisherigen Form der sozialen Marktwirtschaft und vor allem die, die wir in den letzten Jahrzehnten erlebt haben.

J. Wiebicke: Nun haben sie mit der Deutschen Bank ein Beispiel gewählt, das schwierig ist, weil in einem Geldhaus wird aus Geld mehr Geld gemacht. Das ist sozusagen der Unternehmenszweck. Aber was mich interessiert, gerade unter dem Aspekt einer endlichen Welt, wo Ressourcen nicht beliebig vermehrbar sind? Wie läuft das denn in der Realwirtschaft? Wie kann man sich das dann vorstellen, einen Abschied von dem Gedanken eines immerwährenden Wachstums?

Ch. Felber: Vielleicht noch eine Bemerkung zur Bank. Eine Bank kann mit Geld spekulieren. Dann wird aus Geld mehr Geld, ohne dass realwirtschaftliche Werte geschaffen werden und vielleicht sogar Werte zerstört werden und es gibt auch Gemeinwohl-orientierte Banken, die haben sich sogar in einem weltweiten Verbund der ethischen Banken zusammengeschlossen, und die investieren erstens nur in realwirtschaftliche Aktivitäten und zweitens in welche, die eine Gemeinwohl-Prüfung bestanden haben, die verlässlich das Klima nicht aufheizen und die Umwelt nicht schädigen, den sozialen Zusammenhalt stärken und die Demokratien stärken und die Geschlechter gleich behandeln. So etwas geht also auch für die Banken. Bei allen anderen Unternehmen geht es umso mehr. Das zeigen ja die 500 Unternehmen, die eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt haben. Sie kommen aus allen Branchen, sie machen, wie gesagt, Gewinne, manche wachsen nicht mehr und in einigen ganz besonders fortgeschrittenen Fällen versuchen sie auch nicht mehr den Umsatz zu maximieren und den Kunden und Kund*innen die Produkte aufzuschwätzen, sondern sie gehen in ein empathisches Gespräch mit den Kunden und Kund*innen und fragen, ob sie dieses Produkt wirklich wirklich brauchen und dann kann dabei herauskommen, dass die Kundin das Produkt gar nicht braucht oder später braucht oder ein anderes Produkt braucht von einem anderen Unternehmen. All das wird möglich, wenn nicht mehr alle Unternehmen gefangen sind in einer Tretmühle einen höheren Gewinn erzielen zu müssen und dadurch auch wachsen zu müssen. Und wenn aber, das Wichtigste habe ich noch nicht gesagt, das Gemeinwohl-Bilanzergebnis, das führt ja eben zu niedrigeren Steuern, zu günstigeren Konditionen, d.h. wenn Unternehmen weiterhin versuchen würden, den Gewinn zu maximieren und dabei die anderen Werte schädigen würden, dann würden sie das Gemeinwohl-Bilanzergebnis so weit verschlechtern, dass sie nicht mehr wettbewerbsfähig wären, d.h. man kann in einer fortgeschrittenen Gemeinwohl-Ökonomie nur dann auf den Märkten bestehen, wenn man die gesellschaftlichen Grundwerte achtet und einhält.

J. Wiebicke: Liebe Anruferin #1, haben sie noch eine Frage oder einen Kommentar zu dem, was Herr Felber gesagt hat, oder sagen wir Tschüss miteinander?

Anruferin #1: Ich kann nur sagen, wie sehr ich ihm zustimme!

J. Wiebicke: Gut, dann lassen wir es dabei!

Anruferin #1: Und das ist sehr hoffnungsvoll, wenn er das weiter vertritt und lehrt!

J. Wiebicke: Danke für den Anruf. Ich greife zur Mail von Schreiber #1. Er hat geschrieben: In der Natur gibt es kein unendliches Wachstum. Selbst ein Grönlandwal oder eine Grannenkiefer altern und sterben eines Tages. Nur die Betriebswirtschaft, die BWL, träumt vom ewigen Wachstum. Ob BWL als Wissenschaft im engeren Sinne bezeichnet werden kann, darf bezweifelt werden! Eher gleicht die BWL bei nüchterner Betrachtung einer der vielen Religionen, die sich die Menschheit ausgedacht hat. Und der höchste Gott der BWL trägt den schönen Namen Profit, dem sich alles unterzuordnen hat. Ein hartes Urteil! Vielleicht. Mir stehen Disziplinen näher, die mit harten Fakten arbeiten! Das ist ja auch ein Punkt, der in ihren Gedanken eine Rolle spielt, Herr Felber, nämlich die Frage, wie sortieren wir eigentlich die derzeitige Ökonomik ein in das Konzert der Wissenschaften? Wo gehört sie da hinein?

Ch. Felber: Wie ich die derzeitige Ökonomie im Konzert der Wissenschaften erkläre?

J. Wiebicke: Ja, das ist ja eine Frage? Ist das eigentliche eine Sozialwissenschaft, eine Naturwissenschaft, ist es die kleine Schwester der Mathematik oder was ist es eigentlich?

Ch. Felber: An meiner Nachfrage merken sie, dass mir ein weiterer Aspekt unklar ist, dass ich nachfragen muss, denn prinzipiell ist glasklar und sonnenklar, dass die Betriebswirtschaft eine Sozialwissenschaft ist, aber wenn man das Selbstverständnis der sogenannten Mainstream-Ökonomen und der dominanten Schule der neoklassischen Ökonomik, die allbeherrschend ist, innerhalb der Wirtschaft sieht, wenn man das sieht, dann verstehen die sich als Naturwissenschaftler und das ist eine der schwersten Kategoriefehler, weil eine Wissenschaft muss ein klares Selbstverständnis davon haben, ob sie die Schwester der Physik ist und Märkte als Naturphänomene betrachtet, die man nur verstehen kann, die man aber nicht gestalten kann und die man der demokratischen Gestaltung entzieht, indem man dann vielleicht sogar eine marktkonforme Demokratie als letzte Konsequenz einfordert oder ob es genau so klar ist, dass die Wirtschaftswissenschaft eine Sozialwissenschaft ist, die Schwester der Soziologie, der Psychologie und der Politikwissenschaft und dass die Märkte zu 100% nicht gemacht sind und veränderbar und gestaltbar sind und zum Teil auch dem politischen Willen gehorchen. Sie können kapitalistische Märkte symbolisieren und sie können aber auch als Gemeinwohl-organisierte Märkte gestaltet sein, Unternehmen als Geldmaschinen konstruieren oder als Institutionen….(Ch. Felber ist noch im Zug. Verbindung wird gestört)

J. Wiebicke: Lassen wir uns auf den letzten Punkt konzentrieren. Da haben sie gesagt, es gibt da in der Wirtschaftswissenschaft, in dem Mainstream, wie sie momentan gelehrt wird, eine Vorstellung davon, dass diese Wissenschaft so ähnlich sei wie die Physik. Und da brauche ich mal ein Beispiel, dass bestimmte Dinge, die ja in der Gesellschaft passieren und es geht darum, wie Menschen miteinander handeln, wenn sie Ökonomie betreiben. Ob man das sozusagen betrachtet wie in der Physik ein Naturgesetz, wie die Schwerkraft oder so?

Ch. Felber: Genau, z.B der Kern, der Kern der vorherrschenden Theorieströmung und auch an dieser Stelle noch einmal, die Neoklassik, die es erst seit 150 Jahren gibt, die auf die Klassik.., Adam Smith war Klassiker und 100 Jahre nach ihm ist die Neoklassik entstanden und die versteht sich als einzige von zwanzig Theorieschulen, es gibt ja auch die ökologische Ökonomik,.. und die Komplexitäts-Ökonomie, da gibt es viele Alternativen und nur diese eine einzige, aber alles beherrschende und auch durch den vermeintlichen wirtschaftlichen Nobelpreis so stark gemachte Theorieschule, die versteht sich als Naturwissenschaft und ein Beispiel für eine solche naturwissenschaftliche Vorstellung ist, das die Märkte von selbst auf natürliche Weise zum Gleichgewicht zurückkehren, wenn sie durch irgendetwas erschüttert werden. Auch auf Grund dieses Glaubens an die Naturgesetzlichkeit der Gleichgewichtselbstherstellung durch Märkte wird die Politik durch die Ökonomie tendenziell davon abgehalten, für eine gerechte Verteilung zu sorgen oder für ökologische Grenzen zu sorgen, weil eben geglaubt wird, dass das von selbst passiert!

J. Wiebicke: Ich will mal sagen, wie das in der Regel ja gesagt wird, wie dieses Gleichgewicht zustandekommt. Also, wenn ich z.B., es läuft ja alles über Preise, wenn ich z.B. ein Picasso-Gemälde hätte, an dem sie interessiert sind, dann  wird das Gleichgewicht dadurch hergestellt, dass wir beide einen Preis finden, der dann für uns akzeptabel ist, dass ich das Bild abgebe und dann sie es für verschmerzbar halten, soundsoviel zu zahlen.

Ch. Felber: Es kann immer zwischen zwei Menschen zu einer Einigung kommen, aber das schafft noch kein Gleichgewicht auf Märkten. Es kann z.B. auch sein, dass sie ein Immobilien-Derivat zu einem horrenden Preis verkaufen und ich glaube, ich kann es in einem Jahr zu einem noch horrenderen Preis weiterverkaufen und in einem Jahr stellt sich aber heraus, dass der Preis in den Keller abgestürzt ist und ich habe einen Kredit aufgenommen, um ihnen dieses Immobilien-Derivat abzukaufen. Jetzt kann ich diesen Kredit nicht mehr bedienen und ich bin insolvent und ich löse eine Insolvenz-Kettenreaktion aus und eine Wirtschaftskrise aus, d.h. das Gleichgewicht ist nicht zustandegekommen, obwohl wir beide daran geglaubt haben!

J. Wiebicke: Ja, d.h. Kapitalismus ist ein System, das ist ja nicht unbedingt was Neues, ein System, das periodische Krisen produziert?

Ch. Felber: Genau, es gibt Stabilitätskrisen und hier muss man auch sagen, die ausgefeiltesten Mathematikmodelle der Wirtschaftswissenschaft, die haben alle gemeinsam komplett versagt bei der Vorhersage der Finanzkrise 2008, obwohl die Modelle superausgefeilt sind und andere Theorieschulen, die eben nicht an das Gleichgewicht der Märkte glauben, die haben die Krise vorhergesagt, aber die wurden eben von den Orthodoxen, den neoklassischen Ökonomen ignoriert und auch aus der Wissenschaftsgemeinde ausgegrenzt. Deshalb hat die britische Queen in einer berühmten Anekdote geglaubt, dass keiner die Krise vorhergesagt hätte. Dabei hat nur die neoklassische Mainstream-Ökonomik die Krise nicht vorhergesagt, aber andere, die haben in die Geschichte geguckt, haben gesehen, in der Geschichte kann der Zusammenbruch von systemrelevanten Banken, z.B. der Kreditanstalt Österreich, die war ein ganz maßgeblicher Auslöser der Weltwirtschaftskrise in den 1990er Jahren. Mit einem einfachen Blick in die Geschichte hätte man vorhersagen können, dass, wenn Banken wieder so riesengroß werden wie in den 1990er Jahre, dann kann es passieren, dass durch den Zusammenbruch so einer Bank eine ganz große Krise entsteht. Aber die neoklassischen Modell-Ökonomen schauen eben nicht nach links oder rechts, sie schauen weder in die Geschichte noch in die Natur, sondern bauen ihre Modelle auf Grund von finanz-universalistischen Annahmen und deshalb konnten sie nicht nur die Finanzkrise nicht vorhersagen, sie konnten auch die Verteilungskrise nicht vorhersagen, sie konnten den Klimawandel nicht vorhersagen, sie können quasi überhaupt nichts vorhersagen, was für das Leben, das reale Leben von realen Menschen entscheidend ist!

J. Wiebicke: Wobei man ja sagen muss, das gehört ja zum Charakter der Wissenschaft dazu, dass man mit der Erstellung von Prognosen äußerst vorsichtig ist!

Ch. Felber: Diejenigen, die so sehr an die Prognostizierbarkeit von Märkten glauben, die lieben die Neoklassiker, weil sie glauben ja gerade, dass sie regelmäßige Naturphänomene untersuchen, die sich immer nach dem gleichen Muster wiederholen und nur sie betreiben diesen Prognostizismus. Andere Theorieschulen arbeiten nicht in dem Maße mit den sogenannten Prognosemodellen, sondern reflektieren in einem viel breiteren Maße unter Einbeziehung der Ökologie, unter Einbezieung der geschichtlichen Vorerfahrungen, unter Einbeziehung von realen Menschen mit ihren realen Bedürfnissen. Dann kommen dann ganz andere Ergebnisse und ganz andere Empfehlungen an die Politiker heraus, als jene von der neoklassischen Theorieschule!

J. Wiebicke: Wir hören nun Anruferin #2. Ich hoffe, sie konnten einigermaßen verfolgen, was wie hier verhandelt haben? Was ist ihr Punkt?

Anruferin #2: Ich habe vor einigen Jahren ein Buch gelesen, das heißt „Geld ohne Zinsen und Inflation“ und da wird ein Modell vorgestellt, das darauf beruht, dass Geld, wie es schon einmal im Mittelalter der Fall war, am Ende des Jahres nicht über Zinsen aufgewertet, sondern abgewertet wird. Das war dann im Verbund mit dem Zehnten, mit der Zehnten-Steuer, dass jeder 10% von dem, was er hatte, abgeben musste für das Gemeine oder für den obersten Herrn, Grafen, Baron oder sonstwen. Und das hatte zur Folge, dass sie ihr Geld schneller ausgegeben hatten und das war auch die Zeit, in der dann, weil viel Geld im Umlauf war, die ganzen schönen mittelalterlichen Städte entstanden sind. Ein Aspekt ist da auch die Überlegung mit den Zinsen und den Zinseszinsen, das ist ein System, das immer schneller.., das ist eine exponentielle Kurve, die immer schneller wächst und wo es quasi im System immanent ist, dass es immer diese Crash’s geben muss. Und durch eine Abwertung des Geldes würde sich eher eine andere Wachstumskurve ergeben, die eher dazu führt, dass das Wachstum verlangsamt wird!

J. Wiebicke: Wobei, das, was sie jetzt sagen, wird keinen besonders schrecken, weil es im Moment ja sowieso keine Zinsen gibt!

Anruferin #2: Das finde ich sehr spannend, dass das gerade sowieso schon kommt. Das empfinde ich als Ironie der Geschichte sozusagen. Dass wir jetzt merken, aha, wenn wir keine Zinsen bekommen, fällt nicht das ganze Wirtschaftssystem sofort auseinander, sondern es funktioniert trotzdem irgendwie!

J. Wiebicke: Die Logik war also: Entweder hast du das Geld, was du hast, bis zum  Ende des Jahres ausgegeben oder es wird eben nun so und soviel Prozent weniger sein!

Anruferin #2: Genau, da wurden dann die 10% abgegeben.

J. Wiebicke: Herr Felber, wir haben gerade die Frage von Zins und Zinseszins gestellt und wir reden jetzt vor dem Hintergrund einer Wirtschaft, die Anlagen mit Zins nicht mehr ermöglicht. Probleme unserer Art des Wirtschaftens hängen also nach Anruferin #2 damit zusammen, dass wir das Zinssystem haben und sie eben von alternativen Modellen gesprochen, die genau gegenteilig operieren, also wenn man sein Geld nicht rechtzeitig ausgibt, dass man Teile davon verliert.

Ch. Felber: Ja, da kenne ich ein sehr schönes Beispiel aus Österreich. Da bin ich ja sozusagen Fachmann von vor Ort, dass mit einer völlig gegenteiligen Praxis, als die, die in der Hauptstrom-Ökonomie gelehrt wird, ein Wirtschaftswunder gelungen war. Also, während in der großen Depression die Arbeitslosigkeit in die Höhe geschossen war, was in Deutschland auch den Nationalsozialismus ermöglicht hatte, und die Wirtschaft in die Depression gestürzt wurde, wuchs in  Wörgl die Wirtschaft zweistellig und die Arbeitslosigkeit ging gegen null zurück. Das Wörgl-Experiment ist dann von der österreichischen Nationalbank unterbunden worden, nachdem der türkische Wirtschaftsminister sich das persönlich ansehen wollte, weil sich um ihr Währungsmonopol gefürchtet hatte. Und das zeigt, dass die Wirtschaftswissenschaft und Institutionen hier dagegen sein können, dass Alternativen praktiziert werden. Aber das Schlimme ist, das dann diese Alternativen nicht einmal gelehrt werden, damit man sich danach ein differenziertes Bild machen kann von den vielen Alternativen, die es gibt. Ich bringe es auf den Punkt: In allen vielverwendeten Lehrbüchern wird heute der Prozess der Geldschöpfung, wie Geld entsteht, falsch dargestellt und selbstverständlich wird überhaupt nicht dargestellt, wie Geld anders in die Welt kommen könnte, eben z.B. durch die demokratische Zentralbank anstatt durch die Kreditschöpfung von profitorientierten Geschäftsbanken. Ein weiterer Kritikpunkt, den man hier aufgreifen könnte, der in der ökonomischen Lehre dringend verbessert werden müsste!

J. Wiebicke: Ich greife zu einer Mail und zwar schreibt ein Student, der im Seminar über die Gemeinwohl-Ökonomie gesprochen hat zum Thema Transformation und er möchte wissen, wie man das Prinzip von Gemeinwohl-Ökonomie effektiv auf die Luftfahrt anwenden kann: Mobilität ist im 21. Jahrhundert essentiell. Wir dürfen und wollen das Rad nicht zurückdrehen, im Gegenteil! Aber die allgemeine Luftfahrt ist ohne Kerosin zur Zeit noch nicht darstellbar. Wir brauchen Innovationen in der Luftfahrt. Dies wird es aber nicht über Nacht geben. Kann man mit Gemeinwohl-ökonomischen Prinzipien auch Luftfahrt betreiben?

Ch. Felber: Dieser Vorschlag ist schon sehr viel älter als der konkrete Ansatz der Gemeinwohl-Ökonomie. Jetzt schlagen Ökonomen seit dreißig, fast vierzig Jahren vor, dass der Verbrauch von umweltschädlichen Ressourcen wie z.B. fossiler Energieträger, da ist Kerosin eines davon, in Folge über einen Zeitraum von zwanzig, dreißig Jahren langsam verteuert werden um höchstens ca. 5% pro Jahr und so können sich die Hersteller von Fahrzeugen, von Flugzeugen, aber auch die Raumplaner bei der Planung der Infrastruktur auf diesen langsamen Strukturwandel über mehrere Jahrzehnte einstellen. Wieder haben aber die Parlamente nicht auf diese wissenschaftlichen Stimmen gehört und sie haben Kerosin sogar steuerlich begünstigt, also genau in die falsche Richtung und es stellt sich auch im Rahmen einer Gemeinwohl-Ökonomie die berechtigte Frage, wie oft darf ich noch fliegen, wenn wir in einer nachhaltigen und vielleicht sogar in einer Postwachstums-Ökonomie leben werden? Die Wirtschaftswissenschaft hat ihr eigenes Credo! Die Wirtschaftswissenschaft sagt von sich selbst heute, sie sei die Wissenschaft vom effizienten Management knapper Ressourcen. Und wenn man die Menschen fragt, nicht zwangsläufig die Ökonomen, welche Ressourcen sind heute am gefährdetsten und am knappsten, da sind es natürlich die ökologischen Ressourcen und ein Baustein der Gemeinwohl-Ökonomie sagt aus, wir könnten das jährliche Geschenk von der Natur, der Mutter Erde, an die Menschheit als Pro-Kopf-Verbrauchsrechte zurückverteilen, so dass, wenn alle Menschen ihre jährlichen Verbrauchsrechte konsumieren, die Menschheit trotzdem immer noch innerhalb der ökologischen Grenzen des Planeten bleibt und unsere Kinder und Enkel die gleichen Lebens- und Zukunftschancen haben wie wir selbst. Das wäre eine echte Innovation und jeder Mensch kann selbst frei entscheiden, ob er lieber mehr Fleisch isst oder ein kleines Auto hat oder alle drei Jahre einmal in das Elektro-Flugzeug steigt, die es dann genau durch diese Signale an die Märkte geben wird.

J. Wiebicke: Ich bleib jetzt mal bei dem, was sie anfangs gesagt haben, dass es eine langsame Steigerung von Preisen geben kann, so dass die Wirtschaft sich darauf einstellen kann. Das ist ja eigentlich schon die Antwort auf meine nächste Frage: Ihnen schwebt nicht vor, dass es auf einen Crash zuläuft, sondern sie wünschen sich eine langsame Transformation, habe ich das richtig verstanden?

Ch. Felber: Ja, natürlich! Das Warten auf den Crash ist keine Strategie. Solange wir noch Zeit haben, müssen wir langfristige Übergangsszenarien einrichten und das Herzstück der Gemeinwohl-Ökonomie ist ja, dass die perverse Anreiz-Situation von heute, dass die Unternehmen, die die Umwelt und die Gesellschaft schädigen, indem sie diese Kosten externalisieren und auf andere und die Zukunft überwälzen, wie gesagt, heute preislich günstiger anbieten können, dass diese durch eine Pflicht eine Gemeinwohl-Bilanz zu erstellen dann steuerlich so viel schlechter gestellt werden, keine öffentlichen Aufträge mehr bekommen, keine Wirtschaftsförderung mehr erhalten und nicht mehr so frei handeln können, wie die anderen Unternehmen, die bereits in der Zukunft leben, die bereits klimapositiv sind, die schon jetzt in einer Kreislaufwirtschaft leben, die die Ungleichheit verringern, anstatt zu erhöhen, und dann würde durch diese intelligentere Anreiz-Struktur des Marktes, also eigentlich nur einem Redesign der Märkte hin zu einer wirklich sozialen, wirklich ökologischen, wirklich ethischen Marktwirtschaft, dann hätten dann die freien Markt-Akteure die Wahl: Entweder sie wandeln sich in Richtung Nachhaltigkeit und Ethik oder sie werden in vielleicht 5 oder 10 Jahren nicht mehr leben können!

J. Wiebicke: Wir wollen noch einmal telefonieren!

Anrufer #3: Schönen guten Abend allerseits! Ich habe nur wenig Zeit. Zwei Bereiche, die miteinander zu verknüpfen sind, möchte ich gerne vorschlagen für die Zukunft. Zum einen basierend auf dem Lebensprinzip „Extreme bringen Probleme“ heißt es wirklich ein Mindesteinkommen sichern und aber auch ein Maximaleinkommen bzw. Maximalvermögen. Zwischen 5 und 10 Millionen vielleicht. Sie brauchen ja Grenzen. Sie sehen ja zu was das führt, wenn es Leute gibt, die zuviel haben. Keiner kann eine Milliarde wirklich erarbeiten und selber erwirtschaften. Ist nicht möglich! Es ist schier unmöglich. 10 Millionen eigentlich auch kaum. In seinem ganzen Leben. Was man aber braucht, sind runde knapp 2 Millionen für’s Leben, wenn man 20 Jahre alt ist und noch seine 70 Jahre vor sich hat!  Mal ein wenig hochgerechnet.

J. Wiebicke: Mit 2 Millionen ließe sich schon auskommen!

Anrufer #3: Ja, klar, kann man sich im Kopf ausrechnen. Im Prinzip. 20 bis 30 Tausend und das ganze mal, ne? Mal eben 50 Jahre und dann ist man da. Nur grob einfach. Als Lebensgehalt. Mindestens. Jetzt nicht als Maximum gesehen! Und orientiert am Leistungsgedanken, den halte ich für wichtig, der ist aufrechtzuerhalten, aber auch zu praktizieren. D.h. im Klartext: Ein Milliardär, der glaubt mit dem Ausgeben von 10 Milliarden 20 kriegen zu müssen, nur, indem er das Geld hineinschmeißt, ist mit dem Leistungsgedanken nicht vereinbar! Also, Faule und Reiche und solche, die bewusst nichts tun, sollen ja nicht ihr Geld vermehren können, einfach so, sondern dafür arbeiten! Und dann heißt es, der zweite Punkt, ich mache es ganz schnell: Dass wir als Gesellschaft, also wir als Bevölkerung, wie man so sagt, mal festlegen sollten, wer darf was kriegen. Diejenigen, die für sauberes Wasser oder Nahrung oder das ganz Lebenswichtige sorgen, die dürfen nicht so schlecht bezahlt werden, müssen aber auch nicht gleich Multimillionäre werden! Aber ein Anwalt, der 450 € pro Stunde haben will oder kassiert oder die Gebührenordnung hochtreibt auf 250 € pro Stunde, da muss man einfach sagen, dass sprengt den Rahmen der Vergleichbarkeit. Hier mache ich einen Schnitt.

J. Wiebicke: Dann wollen wir Christian Felber noch einmal kurz die Gelegenheit zu einer kurzen Antwort geben! Herr Felber, also der Deckel nach oben hin bei dem Einkommen, ist das in ihrem Gedanken der Gemeinwohl-Ökonomie mit drin?

Ch. Felber: Das ist für mich die Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft, dass es sowohl einen Sockel gibt, also Mindestlöhne, die zu einem menschenwürdigen Auskommen ausreichen, als auch ein Deckel, der ist drin. Unser Vorschlag aber ist, dass nicht eine bestimmte Höhe dieses Deckels von vornerein feststeht, sondern die Menschen dies in demokratischen Prozessen entscheiden dürfen. Ich habe ein Spiel entwickelt und praktisch in 25 Staaten, aktuell von Schweden bis Chile, 500 mal gespielt. Die Vorschläge sind völlig frei und es schlagen manche vor, dass es gar keine Ungleichheit geben soll. Das ist das sozialistische Extrem. Andere sagen, es darf überhaupt gar keine Begrenzung nach oben geben. Das ist das kapitalistische Extrem. Und bei der Abstimmung wird der Widerstand gemessen und es gewinnt der Vorschlag, der den geringsten Widerstand in den Menschen hervorruft und für die sozialistische und kapitalistische Extremvariante gibt es einen unendlichen Widerstand und der häufigste Gewinner ist der Faktor 10 als Deckel, das bedeuten würde, es gäbe in der Gemeinwohl-Ökonomie auch weiterhin Ungleichheit, aber niemand kann mehr als das zehnfache, vielleicht auch das zwölf-, fünfzehn- oder zwanzigfache des Mindesteinkommens verdienen!

J. Wiebicke: Das halten wir für den Schluss fest. Faktor 10! Kann ja jeder für sich zu Hause mal dieses Spiel durchspielen. Ich sage ihnen noch mal kurz, wie das Buch von Christian Felber heißt: „This is not economy!“

Vortrag Gemeinwohl-Ökonomie beim IWIPO in Recklinghausen!

Am 21.05.2019 trat Christian Felber im gemeinnützigen Institut für Wirtschaft, politische Bildung und gesellschaftliche Praxis auf und trug über die von ihm initiierte Gemeinwohl-Ökonomie vor. Danach erläuterte Prof. Dr. Heinz-J. Bontrup als Mitglied des Präsidiums des IWIPO und Gastgeber die verwickelten Zusammenhänge auf dem Arbeitsmarkt, die zur Zeit den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft gefährden. Im Anschluss daran und abschließend wurden Fragen der Zuhörerschaft beantwortet und es entstand eine rege Diskussion über die Thesen des Vortrages.

Wie man es von Christian Felber gewohnt ist, gelingt es ihm immer wieder die Zuhörer in seinen Bann zu schlagen. Er zeigte auf, dass nach einer aktuellen Befragung fast 80% der befragten Menschen das aktuelle Wirtschaftssystem ablehnen. Nach der Liberalisierung des Finanzmarktes in der Reagan- und Thatcher-Ära befinden wir uns in einer Form der Postdemokratie mit Hegemonie des Finanzkapitals. Dabei gibt es eine ganze Reihe an Alternativen zum gegenwärtigen Wirtschaftssystem, unter anderem:

  • Soziale und solidarische Ökonomie
  • Postwachstumsökonomie / Circular / Blue Economy
  • Social Business
  • Commons(Gemeingüter-) Bewegung
  • Buen Vivir / National Happiness (Bhutan)
  • Ethical Banking / Fair Trade

und natürlich auch die Gemeinwohl-Ökonomie, kurz GWÖ. Während die meisten Ansätze bis auf das Praxisbeispiel in Bhutan mehr oder weniger Theorie sind, hat die Bewegung der GWÖ mittlerweile an die 12.000 Unterstützer und eine Vielzahl an Unternehmen, die die GWÖ unterstützen und voranbringen wollen. Dabei geht es um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Theorie, Demokratie und aktivem Tun, um die Wirtschaft wieder dahin zurückzubringen, wo sie hingehört, nämlich als Diener der menschlichen Gesellschaft zu fungieren, eingebettet in die weitere Ökosphäre, und nicht umgekehrt, wo das Kapital das Sagen hat und alle weiteren menschlichen Verhältnisse diktiert.

Christian Felber sieht sich als Universalgebildeter, der sich, anstatt einem festen Curriculum einer Universität zu folgen, die für ihn zu sehr vereinzelt und abgetrennt ist (ganz entgegen dem Verständnis von „Universum“= ganz, zusammen) und für ihn eher eine Perversität darstellt, verschiedenste Gebiete zu Eigen gemacht hatte und daher aus einem großen wissenschaftlichen Ideenpool schöpfen kann. Dies führte bei ihm zu einer starken Ablehnung der gängigen Form des Kapitalismus, wie auch jedes anderen -ismus, obwohl, wie er freimütig zugibt, er keinerlei tiefere Kenntnisse in den Wirtschaftswissenschaften besäße. Stattdessen bindet er die Wirtschaft wieder an ihre Anfänge zurück, wie sie bereits schon von Aristoteles beschrieben wurden, nämlich die Lehre von der Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft („oikos“= Haushalt, auch Frau und Mutter und „nomos“ = Zweck), also praktisch gesehen auch die Lehre vom Gemeinwohl, also dem Wohl aller Beteiligten. Geld ist dabei lediglich das Mittel, nicht der Zweck, denn sonst wären wir bei der Chrematistik, also der Kunst, Reichtum zu erlangen.

Ähnlich wie beim „Better Life Index„, der Nachhaltigkeitsziele der UNO („Sustainable Development Goals„) und dem Bruttonationalglück in Bhutan, wird in der GWÖ die Lebensqualität anhand von 20 Themen gemessen, die Indikatoren für Frieden, Klimastabilität,…,Zufriedenheit, Weisheit, Solidarität und sozialen Zusammenhang darstellen. Die Werte- und Zielbilanz der GWÖ soll so etwas wie eine ethische Schubumkehr bewirken. Kommunen sollen darauf hinwirken bei Ausschreibungen nicht den billigsten Anbieter auszuwählen, sondern denjenigen, der am ethischsten wirtschaftet. So gibt es mittlerweile Genossenschaftsbanken und Crowdfunding-Plattformen, bei denen Investitionen auch nach solchen strengen Maßstäben beurteilt werden. Während nämlich der Fair-Player nur wenig Optionen hat, hat der Foul-Player in der Wirtschaft viel mehr Optionen, und das kann nicht gerecht sein. Zudem plädiert Felber für eine fundierte soziale Ausbildung der heranwachsenden Generation mit bis zu vier Freijahren, allerdings ohne Zwang, in der man verschiedenste ehrenamtliche oder humanitäre Ziele verfolgen kann. Das Ganze ist eine idealtypische Vorstellung, in der ein Netz interdependenter Beziehungen vorherrscht, anstatt einfach einem puren Kapitalismus als Ordnungsstruktur zu gehorchen, in der es eine Herrschaft Weniger und viele Abhängige gibt, die meist gezwungen sind, sich den allgemeinen, meist ungerechten und anti-sozialen Machtstrukturen unterzuordnen.

Daran anknüpfend lief Prof. Dr. Heinz-J. Bontrup zu Höchstform auf. Mit einem kritischen Blick auf die momentanen Herrschafts- und Machtverhältnisse in der Wirtschaft teilte er schonungslos aus. Angefangen hat es eigentlich erst so richtig mit Adam Smith, der als Vater der modernen Wirtschaftstheorie gilt, aber eigentlich Moralphilosoph war und zu Unrecht von diesem Gebiet vereinnahmt wurde, dessen Thesen zur unsichtbaren Hand des Marktes aber allgemein bekannt sein sollten. Damit war aber noch keine Ideologie eines Turbo-Kapitalismus verbunden, denn Smith schwebten lokale und wechselseitige Beziehungen zu Gunsten aller Beteiligten vor, nicht das, was man momentan in der Welt beobachten kann mit grenzüberschreitendem Kapitalverkehr und globaler Konkurrenz zum Vorteil nur der Stärkeren.

Aus Sicht von Bontrup ist vor allem auch die Verteilungsfrage interessant, also, wie man den Kuchen aufteilt. Nach seiner Meinung sollte sie sich unter anderem auch nach der sogenannten Arbeitswerttheorie nach Karl Marx bemessen, also nach dem faktischen Aufkommen der Arbeitszeit. Nicht etwa nach den Grenzkosten, die sich auch danach bemessen, wie teuer man das Gut endgültig auf dem Markt anbieten kann. Es ist ja so, dass Arbeiter und Angestellte sich lediglich über ihr Einkommen finanzieren können, während Kapitaleigner den Mehrwert aus Zinsen, Pacht/Mieten und Gewinn einbehalten können. Dies führt zu einer Menge Abhängiger, also Menschen, die gezwungen sind ihre Arbeitskraft gegen Einkommen eintauschen zu müssen. Damit verfügen allerdings andere darüber (über ihr Eigentum) und das Ganze ist nicht nur eine Verteilungs-, sondern auch eine Machtfrage. Es gibt also einen Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit. Es geht letztlich darum, wer über die Wertschöpfung bestimmen darf, die grundlegend allein durch menschliche Arbeit hervorgebracht wird.

Die Tatsache, abhängig zu sein, kann erpressbar machen und zu Ausbeutung führen. Als prominentes Beispiel führte Bontrup die sogenannten Zombi-Unternehmen an, die bereits 10-15% des Marktes in Deutschland beherrschen, und in denen Arbeitnehmer prekären Verhältnissen ausgesetzt sind, wie z.B. der Pizza-Bote, der abends die Pizza ausfährt. Karikierend fügte Bontrup hinzu, dass der prekär Beschäftigte sich so einen gewissen Luxus erlauben kann, indem er sich für seinen Fernsehabend Pizza und Bier von einem anderen prekär Beschäftigten bringen lässt und zusätzlich in vielen Discountern erschwingliche Preise vorfindet, die ihn im Glauben lassen, er könne sich doch alles leisten.

Die klassische Ökonomie war halt anders gedacht. Die sogenannte Neoklassik ist wirklich eine Katastrophe für die Menschen. Außerdem verstünden die meisten Menschen nichts von Ökonomie, denn sonst würden sie die momentanen Zustände nicht gutheißen. Das Ganze wird nämlich auch dadurch pervertiert, dass der Markt nach ständiger Nachfrage verlangt, den Wert der Ökologie vernachlässigt, dabei die gesellschaftlichen und planetarischen Kosten nicht internalisiert und Menschen wie Gefangene in ständiger Ohnmacht hält. Letztlich besitzt die Umwelt sogar einen negativen Wert. Die Massen akzeptierten diesen Zustand.

Es kommt auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit an. Ohne Arbeit geht es nicht, ohne Kapital geht es nicht. Es stellt sich aber die wichtige Frage, wie der erwirtschaftete Reichtum gerecht verteilt werden kann! Gerade auch im Hinblick auf die starke soziale und finanzielle Ungleichheit in der Gesellschaft! Laut Bontrup sei die erste Million am schwersten verdient. Danach geht es schneller, was gerade die Absurdität des momentanen Systems aufzeigt, bei dem die Hauptlast auf den unteren und mittleren Einkommensgruppen liegt, während sich Kapital, was sich einmal angehäuft hat, immer schneller vermehrt.

Wie viel Nachhaltigkeit lässt die Marktwirtschaft zu?

„Eigentum verpflichtet“, so steht es im Grundgesetz. Dagegen jedoch verstoße unsere Marktwirtschaft, sagen die Anhänger der Gemeinwohl-Ökonomie. Sie werben für ein Wirtschaftssystem, das sich statt an Wachstum an Nachhaltigkeit und Solidarität orientiert. Erfolgreich sind sie damit jedoch bislang nur in einer wirtschaftlichen Nische.

Von Caspar Dohmen (Audiobeitrag im Deutschlandfunk)

Später Vormittag: In der Halle wird gerade Getreide gesäubert und zu Mehl vermahlen. Märkisches Landbrot gehört seit Anfang der 1980er Jahre zu den ökologischen Pionieren in Deutschland. Das Getreide kommt heute von Demeter-Bauern aus der Region, das Wasser aus einem eigenen Brunnen, und Energie von der Photovoltaikanlage auf dem Dach. Geschäftsführer Christoph Deinert:

„Man hat den Eindruck, man tut alles, was man tun kann. Aber ob man jetzt irgendwas vergessen hat, das weiß man ja so gar nicht als kleiner Betrieb, wenn man so nur hauptsächlich intern agiert. Dann haben wir beide, also beide Geschäftsführer unabhängig voneinander, über die Gemeinwohl-Bilanz gelesen, und das fanden wir sehr interessant und haben gesagt, dann machen wir das einfach mal.“

Beitrag für das Allgemeinwohl

Märkisches Landbrot ist mit 60 Mitarbeitern ein großer Biobäcker, verglichen mit konventionellen Großbäckereien aber klein. Bei der Bestandsaufnahme nach den Kriterien der Gemeinwohl-Bilanz konnten die Bäcker viele Häkchen machen, aber es gab es auch manche Überraschung, etwa beim Thema Mitarbeiterschulung.

„Die Gemeinwohl-Ökonomie interessiert nicht, was die Geschäftsführer für Schulungen machen, da geht die davon aus, dass das sowieso notwendig ist. Sie fragt nach den Schulungsstunden von der Reinigungskraft. Und das ist dann schon ein ganz anderer Ansatz. Da muss man erst einmal gucken. Das passt dann nicht mit dem Bild zusammen, dass man gut ist in Schulungen, also das ist ein anderer Ansatz, den man sich dann auch erst mal bewusst machen muss. Der erst mal erschreckt und dann ist aber gut, dass man dann so Punkte findet dann.“

Unternehmen können ihre Wirtschaftsweise nach ganz verschiedenen Schemata bewerten lassen – und dann mit dem verliehenen Siegel hausieren gehen und Werbung machen. Der Ansatz der Gemeinwohl-Bilanz unterscheidet sich fundamental von gewöhnlichen Zertifizierungssystemen für Unternehmen – etwa Fairtrade oder dem EU-Biosiegel. Gemessen werden hier nicht nur Mindestpreise für Bauern im globalen Süden oder eine biologisch verträgliche Herstellungsweise, sondern: welchen Beitrag das Unternehmen in der Breite zum Gemeinwohl leistet.

Alte Idee mit neuem Leben erfüllt

Ein Wirtschaftssystem, das sich statt an Wachstum an Nachhaltigkeit und Solidarität orientiert – dafür treten die Anhänger der Gemeinwohl-Ökonomie ein. Sie vertreten ein Gegenmodell zur kapitalistischen Marktwirtschaft. Erfolgreich sind sie damit jedoch bislang nur in einer wirtschaftlichen Nische.

Denn die Gemeinwohl-Bilanz ist Bestandteil einer alternativen Wirtschaftsordnung, der sogenannten Gemeinwohl-Ökonomie, kurz GWÖ genannt. Dabei soll die Profitmaximierung nicht mehr über allem stehen, privates Unternehmertum aber trotzdem wichtig bleiben.

In Kontinentaleuropa orientierten sich nach dem Zweiten Weltkrieg viele Firmen an den Wünschen und Interessen von Kunden, Mitarbeitern, Eigentümern und Bürgern. Diese sogenannte breite „Stakeholder-Orientierung“ ist jedoch in vielen Unternehmen einer Fixierung auf den Gewinn gewichen, mit teils gravierenden Folgen für Menschen und Umwelt. Die Finanzkrise hat diese hässliche Seite des Kapitalismus ab 2008 bewusst gemacht, die „Shareholder-Economy“ geriet wieder verschärft in die Kritik. In Österreich wurde zu der Zeit die alte Idee einer am Gemeinwohl orientierten Wirtschaft mit neuem Leben gefüllt. Christian Felber – Publizist, Aktivist und Tänzer – gehört zu den Initiatoren.

„Die allerersten Schritte waren dann zwischen 2008 und 2010 innerhalb von Attac Österreich mit der sogenannten Attac-Unternehmer*innengruppe. Also das waren alles kleinere, mittelständische oder Einpersonen-Unternehmen, und die haben zum einen die erste Version der Gemeinwohl-Bilanz für Unternehmen ausgearbeitet, und zum anderen das Grundgerüst des Wirtschaftsmodells, dem ich dann mit dem Buch 2010 einen Namen gegeben habe.“

Mehr als ein Gegenmodell zum Kapitalismus

Die „Gemeinwohl-Ökonomie“ wurde in mehreren Ländern ein Bestseller bei Menschen, die sich für andere Wirtschaftsweisen interessieren. Seit der Etablierung des Kapitalismus als Produktionsregime haben immer wieder Menschen versucht, Gegenmodelle zu organisieren, die einem Kollektivinteresse gegenüber dem Einzelinteresse Vorrang geben: Die Frühsozialisten im 18. Jahrhundert etwa, und die Arbeiter im 19. Jahrhundert, die Genossenschaften gründeten, um bezahlbare Wohnungen oder preisgünstige Lebensmittel zu bekommen. In der Alternativbewegung wurden seit den 1970er Jahren selbstverwaltete Kollektivbetriebe gegründet. Weltweit gibt es eine Vielzahl von Initiativen, die das Gemeinwohl hochhalten, etwa die Bewegung für die Einrichtung von Saatgutbanken für Kleinbauern in Indien, oder die Bewegungen für eine öffentliche Wasserversorgung.

Die GWÖ geht darüber hinaus, weil sie die Wirtschaftsordnung ändern will. Dabei knüpft sie an unsere Verfassungen an.

In Bayerns Verfassung lautet Artikel 151:

„Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl.“

In Artikel 14 des Deutschen Grundgesetzes heißt es:

„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen.“

„Das heißt, die real praktizierte und real existierende Wirtschaftsform widerspricht eigentlich dem Geist der Verfassungen. Und dort, wo dieser Widerspruch konkret wird, ist die wirtschaftliche Erfolgsmessung. Wenn wir aber schauen, wie wir wirtschaftlichen Erfolg heute messen, mit den Finanzrenditen für Investitionen, mit dem Finanzgewinn für Unternehmen oder dem Bruttoinlandsgewinn für die Volkswirtschaft, dann erkennen wir, dass wir eigentlich die Mittelverfügbarkeit oder sogar die Mittelakkumulation – noch verkehrter – messen, aber nicht die Zielerreichung.“

Gemeinwohl als Punktesystem

Kritik an der einseitigen Orientierung der Gesellschaft am Wachstum des Bruttosozialprodukts gibt es von vielen Seiten. Längst existieren andere Maßstäbe, etwa das „Bruttonationalglück“. Trotzdem ist für Regierungen das Wachstum des Angebots von Waren und Dienstleistungen in einer Volkswirtschaft heute der entscheidende Indikator – genauso wie für Unternehmen das Wachstum des Gewinns.

Bei der Gemeinwohl-Bilanz werden dagegen viele Dimensionen gemessen. Es zählen die Werte: Menschenwürde, Gerechtigkeit und Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit und demokratische Mitbestimmung. Erfasst werden die am Wirtschaftsprozess beteiligten oder betroffenen Gruppen: also Eigentümer, Lieferanten, Finanzpartner, Mitarbeiter, Kunden, und das gesellschaftliche Umfeld. Maximal 1.000 Punkte können bei dieser Art der Bilanzierung erreicht werden. Märkisches Landbrot kommt auf 773 Punkte – ein sehr guter Wert.

Christoph Deinert:

„Punkte in der Gemeinwohl-Ökonomie gibt es nur, wenn es über den gesetzlichen Rahmen hinaus nachhaltig ist. Also nur gesetzlicher Rahmen heißt null Punkte in der Gemeinwohl-Ökonomie.“

Märkisches Landbrot punktet etwa mit seinem Mindestlohn, der mit zehn Euro über dem gesetzlichen von 8,84 Euro liegt. Es verkauft sein Demeterbrot auch zu dem niedrigeren Preis für Biobrot, damit es sich mehr Menschen leisten können. Die Bäcker haben ein anonymes Verfahren eingeführt, bei dem ihre Bauern die Fairness von Märkischem Landbrot bewerten. Und bei allem steht die Firma wirtschaftlich mit einem Eigenkapital von 75 Prozent und einer Verzinsung darauf von vier Prozent gesund da.

Mehr Suffizienz = weniger Ressourcen-Verbrauch

Im Schnitt verdiente ein Vorstand eines Dax-Unternehmens 2014 laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung das 57-fache eines Angestellten. Nach Ansicht der GWÖ sollte der Höchstverdiener in einer Firma nicht mehr als das drei- bis 15-fache des Mitarbeiters mit dem geringsten Lohn erhalten. Bei Märkisches Landbrot ist es das Fünffache.

Ein Hinterhof im Berliner Stadtteil Wedding. Das Artloft – ein Tagungsraum – ist an diesem Montag im Februar gut gefüllt bei der Abschlussveranstaltung eines Forschungsprojektes zur Gemeinwohl-Ökonomie. Sieben Jahre haben die Universitäten Flensburg und Kiel sich damit beschäftigt. Auftraggeber war das Bundesministerium für Bildung und Forschung, es wollte Wege in eine nachhaltige Wirtschaft beschrieben haben. Bernd Sommer, Leiter des Projekts an der Europauniversität Flensburg:

„Viele Ansätze, die da erforscht werden, sind eher technischer Art. Wir kennen das durch erneuerbare Energien: Energieeffizienz soll unsere Wirtschaften nachhaltig werden. Und wir hatten den Ansatz, dass wir uns eine soziale Innovation, also eine Innovation, die darauf setzt, die Praxis zu verändern, untersuchen, inwiefern auch dort Potenziale bestehen.“

Elf Unternehmen mit einer Gemeinwohl-Bilanz haben die Forscher analysiert, darunter Märkisches Landbrot, die Tageszeitung „taz“ und ein Seniorenheim. Hat das Mess-Instrument den Firmen dabei geholfen, ökologisch und sozial nachhaltiger zu werden?

„Durchaus. Unter anderem haben wir in Vergleich zu anderen Nachhaltigkeitsinstrumenten festgestellt, dass die GWÖ auf etwas setzt, das man in der Forschung als Suffizienz bezeichnet. Suffizienz meint, dass das absolute Maß des Ressourcenverbrauchs in den Blick genommen wird, und nicht nur, dass man effizienter mit Ressourcen umgeht. Und ganz konkret heißt das, die Gemeinwohl-Bilanz honoriert zum Beispiel, wenn Produkte reparaturfähig sind.“

Es ist höchste Zeit für Suffizienz, weil die Menschheit jedes Jahr mehr Ressourcen verbraucht, als sich regenerieren können, abzulesen am Welterschöpfungstag, der letztes Jahr am 2. August lag. Vom 1. Januar bis zum 2. August 2017 hatten die Menschen die Ressourcen verbraucht, die sich in dem Jahr regenerieren können. So errechnet es jährlich die Organisation Global Footprint Network, indem sie die menschliche Nachfrage nach Ressourcen in ein Verhältnis zur Biokapazität des Planeten setzt.

400 Unternehmen unterstützten die GWÖ, 120 haben bislang eine Gemeinwohl-Bilanz vorgelegt. Mit dabei sind auch Kommunen, Universitäten, Schulen und andere gesellschaftliche Institutionen. Die Überprüfung erledigen Auditoren wie Nils Wittke, früher Umweltbeauftragter bei Ikea und heute Unternehmensberater. Die Tauglichkeit solcher privater Überprüfungen von Firmen steht allerdings in der Kritik – etwa bei der Zertifizierung von Fabriken in Asien. In der GWÖ achte man deswegen strikt auf Unabhängigkeit, sagt Wittke.

Eine ethische Marktwirtschaft

„Das System ist extra so aufgebaut, dass keinerlei Geschäftsbeziehung zwischen Auditor und dem zu auditierenden Unternehmen besteht.“

Aus Sicht der Gemeinwohl-Ökonomie leben Unternehmer heute in einer verkehrten Welt: Wenn sie über die Gesetzesvorgaben hinausgehend ökologisch und sozial nachhaltiger wirtschaften, haben sie einen Kosten- und damit Wettbewerbsnachteil gegenüber Unternehmen, die dies nicht tun. Viele Firmen verlagern ihre Produktion sogar dorthin, wo sie leichter Mensch und Umwelt ausbeuten können. Christian Felber erklärt, wie die GWÖ-Verfechter die Verhältnisse umdrehen wollen.

„Je höher der gesellschaftliche, ökologische und insgesamt ethische Mehrwert eines Unternehmens in Gestalt seines Gemeinwohl-Bilanz-Ergebnisses in Punkten, desto weniger Steuern zahlt es im Vergleich, desto niedrigere Zölle zahlt es im Vergleich, desto günstigere Finanzierung erhält es, oder Vorrang im öffentlichen Einkauf oder bei der Wirtschaftsförderung zum Beispiel, sodass in Summe die ethischsten, die nachhaltigsten, und die Unternehmen, die die Verfassungswerte eines demokratischen Staats- und Gemeinwesen am konsequentesten leben, den Endverbraucherinnen preislich günstiger anbieten können. Das wäre dann eine ethische Marktwirtschaft – oder eben eine Gemeinwohl-Ökonomie.“

Möglich sei eine solche Förderung schon heute, sagt Stefanie Deinert, die an der Hochschule Fulda Jura lehrt. Weil ihr Mann die Geschäfte bei dem Märkischen Landbrot führt, beschäftigt sie sich schon seit Jahren mit rechtlichen Fragen der Gemeinwohl-Ökonomie. Ein Vorschlag lautet:

„Allein diese Tatsache, dass zertifiziert wird von einem Externen, reicht aus, um die Vergünstigung zu erhalten.“

Das radikale Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie hat unter Unternehmern schon einige Anhänger: Zu den größeren Betrieben zählen in Deutschland die Sparda-Bank München oder der Outdoorhersteller Vaude. Ohne eine Beteiligung der wirklich Großen dürfte der Ansatz jedoch in der Nische stecken bleiben. Immerhin beschäftigten sich einige Großunternehmen mit der GWÖ, etwa die Otto Group mit 55.000 Beschäftigten. Otto-Nachhaltigkeits-Manager Stephan Engel:

„Den Gesamtansatz finde ich gut und inspirierend und auch innovationsfördernd.“

Interesse auch bei größeren Unternehmen

Firmengründer Michael Otto hatte schon vor 30 Jahren ökologische Fragen auf die Agenda des Versandhändlers gesetzt. Doch ist die Otto Group noch weit von einer echten Nachhaltigkeit entfernt – wie alle anderen Großkonzerne auch. Echte Nachhaltigkeit würde bedeuten, dass ein Unternehmen dem Ökosystem nicht mehr Ressourcen entnimmt, als sich dort regenerieren können oder ihm zurückgegeben werden, etwa indem Bäume gepflanzt werden.

„Das ist auch unser Verständnis als Kaufleute, als Unternehmer auch, dass wir unsere Grundlagen, auf denen wir handeln, nicht untergraben können, weil sonst verlieren wir unsere Existenzgrundlage.“

Der Konzern beteiligte sich an der Studie der Universitäten Kiel und Flensburg – ebenso wie der Energiehersteller EON, der LKW-Hersteller MAN oder die Drogeriemarktkette DM. Mit ihnen führten die Forscher zwei Workshops zur GWÖ durch. Die Deutsche Post DHL Group winkte dagegen bald ab – das Konzept sei nicht auf das Unternehmen übertragbar.

Etwa über Lohnspreizung und bessere Löhne für die Beschäftigten entlang der Lieferketten habe man offen mit den Konzernvertretern diskutieren können, betonen die Forscher. Aber es gab auch Grenzen. Nicht vorstellen mag man sich etwa bei der Otto Group einen bewussten Verzicht auf betriebliches Wachstum.

„Wenn es schrumpfen heißt, heißt wir müssen uns von Mitarbeitern trennen – das entspricht nicht unseren Genen, unserer Leidenschaft auch, die wir im Unternehmen haben.“

Bewegung mit politischen Ambitionen?

Wissenschaftlerin Josefa Kny aus Flensburg sieht unterschiedliche Hürden für die Übertragung des GWÖ-Ansatzes auf Großunternehmen.

„Eine wirkliche Übernahme der Gesamtheit der Ideen der Gemeinwohl-Ökonomie beziehungsweise dessen, was in der Gemeinwohl-Bilanz steht, ist nicht wirklich absehbar, gerade wenn es darum geht, die Eigentümerstrukturen beispielsweise so zu verändern, dass auch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einen großen Teil mit besitzen, oder auch, wenn es darum geht, ethische Finanzierungen im großen Maßstab einzuführen.“

Doch einmal abgesehen von den ganz zentralen Fragen nach Eigentum und Wachstum gibt es auch aus anderer Ecke Kritik am Gemeinwohl-Konzept. Mancher hält die GWÖ eher für eine Bewegung mit politischen Ambitionen. So sprach der Gemeinwohlforscher Timo Meynhardt in einem Interview der österreichischen Tageszeitung „Die Presse“ von einer …

“ … „im Embryonalzustand befindlichen Partei, die sich eher in die anti-liberale Tradition des Gemeinwohl-Diskurses stellt.“

Noch lebt diese Form der Alternativökonomie auch vom restlichen bestehenden System. Der Ökonom Matthias Binswanger:

„Am Schluss ist das erfolgreiche Funktionieren eben dieser Nischen auch abhängig davon, dass der Rest der Wirtschaft gut funktioniert und die entsprechenden Einkommen schafft, damit die Menschen dann diese lokalen Nahrungsmittel zum Beispiel einkaufen können.“

Wirtschaften – aber nicht wachstumsorientiert

In der Tat wäre eine Ausdehnung der Gemeinwohl-Ökonomie über die Nische hinaus nur durch gravierende Veränderungen möglich. Ab einem bestimmten Punkt wären Schutzmaßnahmen, sprich Handelsschranken, an den nationalen oder auch EU-Außengrenzen nötig. Die Lebensqualität für viele Menschen dürfte steigen, weil sie sich etwa wieder stärker als Teil von Gemeinschaften erleben würden. Andererseits dürfte der materielle Lebensstandard sinken. Matthias Binswanger:

„Wenn wir jetzt eigentlich eine andere Art von Wirtschaft wollen, die eigentlich nicht mehr wachstumsorientiert ist, dann ist das mit dermaßen großen Umstrukturierungen verbunden – oder mit dermaßen großen Änderungen, dass kaum jemand bereit wäre, das heute wirklich zu tun, weil das wäre dann mit erheblichen Wohlstandseinbußen verbunden.“

Durchsetzen wird sich ein am Gemeinwohl orientiertes Wirtschaften in unserer Demokratie nur, wenn sich dafür eine politische Mehrheit findet. Die GWÖ findet zwar Widerhall in der Politik. So will Baden-Württemberg einen Landesbetrieb entsprechend zertifizieren, und der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat sich im September 2015 mit großer Mehrheit für eine Integration der GWÖ in den Rechtsrahmen der Union und ihrer Mitgliedsstaaten ausgesprochen. Aber eine politische Mehrheit für wirklich weitreichende Änderungen unserer Wirtschaftsordnung ist aktuell nicht einmal im Ansatz erkennbar. Eine Etablierung der Gemeinwohl-Bilanz als weitere Zertifizierungsmethode für nachhaltiges unternehmerisches Wirtschaften dagegen schon. Das birgt jedoch eine Gefahr, sagt Wissenschaftler Bernd Sommer.

„Aber die Erfahrung mit vergleichbaren Zertifizierungen ist, dass dann auch eine Schleifung der Inhalte stattfindet, das prominenteste Beispiel wäre das Biosiegel der Europäischen Union.“

Solange sich die Regeln nicht für alle Unternehmen ändern, werden die am Gemeinwohl orientierten Unternehmer an Grenzen stoßen.

Christoph Deinert:

„Wir sind ja hier in einem Wirtschaftssystem, da unterliegt man auch als Gemeinwohlunternehmen einem gewissen Kostendruck. Und da muss man immer gucken, wo steckt man Geld rein, wo muss man sparen.“

Aber erst einmal lassen sie sich beim Märkischen Landbrot nicht von ihrem Weg abbringen. Künftig soll der Betrieb einer Stiftung gehören, und demnächst wollen sie vier Bienenstöcke auf das Fabrikdach setzen.

„Die Bienen sorgen ja dafür, dass wir was zu essen haben, die Pollen zu verteilen ist einfach eine lebenswichtige Aufgabe für uns Menschen, nicht nur für die Bienen.“

Ohne den Erhalt unserer Lebensgrundlagen macht Wirtschaften keinen Sinn. In irgendeiner Form wird das Gemeinwohl daher in der Volkswirtschaft eine stärkere Rolle spielen müssen – früher oder später.

Ist eine Postwachstumsökonomie möglich?

Wir leben in einer Welt, in der es vielen Menschen noch nie so gut ging wie heute. Aber auch in einer Welt, in der große Ungleichheit herrscht und mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung in Armut lebt. Hinzu kommt, dass wir mit unserem modernen Lebensstil unseren Planeten langsam gegen die Wand fahren. Wir müssen erkennen, dass es in Zukunft immer mehr Mühen bedeuten wird, den augenblicklichen Ressourcenreichtum aufrechtzuerhalten. Das Klima gerät langsam außer Kontrolle. Arten sterben aus. Lebensräume für Mensch und Tier werden zerstört oder verschwinden einfach. Wir müssen erkennen, dass jeder von uns zu den Problemen in der Welt maßgeblich beiträgt oder – positiv gewendet – einen Unterschied machen kann.

Der Status Quo!

Das Narrativ der Wirtschaft und der willfährigen Politik ist, dass wir durch unseren Konsum die Wirtschaft am Laufen halten (sollen), damit der Kreislauf von ewig neuem Konsum aufrechterhalten werden kann. Die Wirtschaftswissenschaft erklärt uns, dass es die privaten Haushalte sind, die mit ihren Ersparnissen und ihrem Konsum dafür sorgen, dass Unternehmen Investitionen durchführen können, um neue Güter und Dienstleistungen zu produzieren und auf dem Markt anbieten zu können, um den Haushalten ihrerseits Beschäftigungsmöglichkeiten zu bieten und ihr Einkommen zu sichern. Sinken die Investitionen oder ebbt die Nachfrage ab, so gibt es im Endeffekt weniger Arbeitsplätze. Um die Menschen in Lohn und Brot zu halten, muss das Rad also ständig am Laufen gehalten werden. Die Konsumspirale, die so charakteristisch für unsere moderne Zivilisation ist, muss sich also unerbittlich weiter drehen. Das gegenwärtige Wirtschaftssystem ist zudem inhärent instabil. Sind die Voraussetzungen nicht erfüllt, geht es schnell in eine Abwärtsspirale mit Rezession und galoppierender Arbeitslosigkeit. Um nicht in Chaos oder Elend zu versinken, muss das Wachstum also immer weiter gehen. Doch ist mehr Konsum eigentlich besser? Geht es nicht eher um Qualität als Quantität? Und wo bleibt der Staat in dem System? Hat er die Zügel längst aus seiner Hand gegeben und ist nur ein willfähriger Wegbegleiter des Kapitals geworden?

Das Wirtschaftswachstum ist augenblicklich am Limit. Bei manchen Ressourcen nähern wir uns dem „Peak Stuff“, d.h. dem Fördermaximum. Der Energieerntefaktor (EROI = „Energy Return on Energy Invested“) fällt. Es wird praktisch also immer schwerer und unrentabler, die Produktivität und Abschöpfung der Rohstoffe in diesem Tempo beizubehalten. Die Umweltbelastung steigt und die Ressourcenbasis schwindet zusehends. Wir befinden uns also wirtschaftlich auf einem absteigenden Ast. Hier müssten Stimmen in unserer Gesellschaft laut werden und sich fragen, wie wir mit dieser Situation umgehen sollten. Ist eine Wirtschaft ohne Wachstum überhaupt möglich?

Tatsächlich bringt uns das Narrativ des letzten Jahrhunderts nicht weiter. Immer mehr Wachstum würde bedeuten, dass die globale Wirtschaftsleistung im Jahr 2100 30mal so groß sein müsste wie heute und 326mal so groß wie im Jahr 1950, und das bei endlicher Ressourcenbasis und fragiler Ökologie. Eine absurde Vorstellung. Kein Subsystem eines endlichen Systems kann unendlich lang wachsen! Zudem stehen wir vor großen globalen Aufgaben. Um das 1.5o-Grad-Ziel zu erreichen, muss der Ausstoß von Kohlendioxid reduziert werden. Gegen Mitte des Jahrhunderts sollte die Kohlenstoffintensität null sein und bis zum Ende des Jahrhunderts sogar negativ, d.h. wir sollten aktiv Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernen. Dabei spielen auch Rückkopplungseffekte eine Rolle. Bei positiver Rückkopplung ist es umso schwieriger zu reagieren und entsprechend gegenzusteuern, wenn Knappheit bereits da ist. Und Knappheit ist in einigen Fällen schon sichtbar.

Statt dass die Politik schnellstens handelt, konnte festgestellt werden, dass entgegen dem Abkommen von Kyoto das Niveau der jährlichen Treibhausgasemissionen im Zeitraum von 1990 bis 2012 faktisch sogar um fast 60% gestiegen ist. Statt einer Steigerung der Emissionen um 2% jährlich, wie beobachtet, sollte die globale Reduktion aber durchschnittlich mindestens -8.6%/Jahr groß sein, um das 1.5o-Grad-Ziel halten zu können. Gleichzeitig nimmt die Weltbevölkerung zu. Das ist ein Widerspruch. Tatsächlich hängt die Abnahme der Kohlenstoffintensität mit den Faktoren Einkommen (Wohlstandsniveau), der Größe der Bevölkerung und den vorhandenen technologischen Möglichkeiten zusammen. Absolute Entkopplung vom Materialverbrauch ist nur möglich, wenn die Kohlenstoffintensität schneller abnimmt, als die Bevölkerung oder das durchschnittliche Einkommen insgesamt zunehmen. Selbst wenn wir es schaffen könnten, in den entwickelten Ländern eine absolute Entkopplung zu erreichen, würde diese Leistung durch den Anstieg der Weltbevölkerung und dem Bestreben nach einem auskömmlichen Wohlstandsniveau für die Menschen in den bisher unterentwickelten Ländern faktisch nur marginale Auswirkungen haben. Wohlgemerkt: Damit die Schwellen- und Entwicklungsländer das gleiche Wohlstandsniveau erreichen können wie die reichen Länder, müsste die Wirtschaft dort um mindestens 7.6%/Jahr wachsen, in den momentan ärmeren Ländern sogar um eine Rate von 12%/Jahr und das bei notwendigerweise sinkendem Ressourcendurchsatz innerhalb der planetarischen Grenzen. Das ist absurd. Konventionelles Wachstum allein kann das Problem der Armut also nicht lösen!

Der ewig währende Konsum, seine Ursachen und Folgen!

Wie Untersuchungen zeigten, ist die Grenzrate des Nutzens abnehmend, d.h. jede zusätzliche erwirtschaftete Geldeinheit stiftet immer weniger Nutzen. Der Nutzen steigt zunächst mit steigendem Einkommen steil an. Die Grenzrate des Nutzens geht aber weiter zurück, wenn die Einkommen steigen, und der Nutzen nähert sich allmählich einem Plateau, und zwar unabhängig davon, wie weit die Einkommen steigen. Praktisch gesehen würde es der Menschheit also insgesamt mehr bringen, wenn ein Teil des Reichtums der Industrieländer umverteilt würde, um mit diesen Mitteln die besonders armen, bevölkerungsreichsten Länder zu fördern, dort die Bildungsmöglichkeiten und die medizinische Versorgung zu verbessern, um so schließlich ein Sinken der Geburtenrate zu ermöglichen. Die Probleme der Welt lassen sich nur global lösen!

Es ist also tatsächlich so, dass wir uns an unseren momentanen Zustand gewöhnen (Habituation). Ein Mehr an materiellen Gütern bedeutet nicht unbedingt ein mehr an Glück und Lebenszufriedenheit. Anstatt eine Fülle an Gütern und Dienstleistungen anzubieten und den Konsum immer weiter anzuheizen (Fülle), sollten eher die Verwirklichkeitschancen erhöht werden. Fülle wird in der Regel durch das BIP gemessen. Das BIP (Bruttoinlandsprodukt) ist die Summe aller Warentransfers in einer Volkswirtschaft. Aber misst es den tatsächlichen Nutzen? Ist es ein Grad für das allgemeine Wohlbefinden? Mitnichten. Schon besser ist der GPI („Genuine Progress Indicator“), der viel weniger wächst als das BIP und zwischenzeitlich sogar abnahm. Wirtschaftliches Wachstum ist also in der Tat eher unwirtschaftliches Wachstum. Was tatsächlich zählt im Leben ist Teilhabe an der Gesellschaft und dies auch über erbrachte Arbeit und Leistung. Geachtet und respektiert zu werden, einen Freundeskreis und eine Familie zu haben und ausreichende Bildungsmöglichkeiten wahrnehmen zu können. Und eigene Freiheiten in Anspruch nehmen zu können, aber immer in den Grenzen der Freiheiten der Andersdenkenden und der planetarischen Grenzen sowie der Regenerationsfähigkeit des Ökosystems. Freiheit bedeutet also – keineswegs – die Freiheit unbegrenzt konsumieren zu können bei gleichzeitig steigender Weltbevölkerung und begrenzten Ressourcen.

Woher kommt der Drang nach immer Neuem, immer mehr, unsere Unersättlichkeit? Tatsächlich ist er uns menschlich ein wenig eingeschrieben. Es gibt die beiden Pole des Neuen, Verändernden und die Tradition, das Bewahren. Gegenwärtig hat sich die Gesellschaft darauf verständigt, dass es das ständig Neue, Bessere sein muss, das wir unbedingt haben müssen. Über Konsum und materielle Güter laden wir gleichsam unser Leben mit gesellschaftlicher und psychologischer Bedeutung auf. Über Konsum wollen wir unseren Status nach außen ausdrücken. Man kann schon von einer Symbolsprache der materiellen Güter sprechen. Der ständige Drang nach Neuem auf Kosten von Tradition und der sich manifestierende Individualismus in unserer Gesellschaft anstatt wertschätzender Eingebundenheit in der Gemeinschaft schafft aber ein Zerrbild der Menschheit. Der herrschende Materialismus spielt im Moment die Rolle eines Religionsersatzes. Materielle Dinge geben uns Trost, können uns die Angst vor einem möglichen Tod und einer drohenden Sinnleere nehmen. Weite Bereiche des sozialen Lebens drücken sich nur noch über Materielles aus. Die Triebkraft dahinter ist oft Gier oder gefühlte Missachtung auf Grund von möglichen psychologischen Komplexen, die man zu kompensieren sucht. Schon Kinder werden zu einer Shopping-Generation erzogen; süchtig nach Marken, Stars und Status. Was not tut ist eine Befreiung von der Logik des Konsumismus. Insgesamt erkennen wir eine Schieflage einer Konsumkultur, die umwelfreundliches Verhalten bestraft und ein einfaches Leben erschwert. Es ist die freiwillige Einfachheit, weg vom ewigen Konsumismus, hin zu Nachhaltigkeit, Ethik, das Vermeiden überflüssiger Ablenkungen. Äußerlich einfach, aber innerlich reich. Doch wie geht das zusammen mit dem Funktionieren der Wirtschaft?

Konkurrenz vs. Kooperation?

Der Drang, sich gegen andere abzuheben, andere Mitbewerber um begrenzte Ressourcen, gleich welcher Art, auszustechen, soll scheinbar ein Erbe unserer Entwicklungsgeschichte sein. So war in der Steinzeit die Nahrung knapp und auch Möglichkeiten für sexuelle Abenteuer eher spärlich. Bot sich damals eine passende Gelegenheit, war unser Ego derart gestrickt diese baldmöglichst wahrzunehmen, wenn sich eine gute Gelegenheit bot, wenn möglich, auch, indem potentielle Mitstreiter aus dem Weg geschafft wurden. Folglich, so schloss schon Charles Darwin, ist uns der Kampf ums Dasein gleichsam in unsere Gene eingeschrieben. In einer Zeit des allgegenwärtigen Überflusses und der Überreizung gleich welcher Art, ist uns dieses Überbleibsel aus Zeiten der Not zu einem dunklen Erbe geworden. Bevorzugt es doch eher kurzsichtige und kurzfristige Ziele nach schneller Bedürfnisbefriedigung, ohne uns auf das Erreichen langfristiger Ziele zu konditionieren, geschweige denn die damit verbundenen Probleme im Trubel der auf uns einströmenden Informationen überhaupt wahrzunehmen. Und wenn, dann sind die Probleme immer woanders und weit weg. Gerade die Wirtschaftswissenschaft hat sich der Beschreibung dieses Phänomens angenommen und mit dem „homo oeconomicus“ ein Bild eines Wirtschaftsakteurs geschaffen, der ohne Rücksicht auf andere stets nur seinen eigenen Vorteil im Blick hat: Den Nutzenmaximierer schlechthin.

Doch dies ist nur die halbe Wahrheit. Auch wenn uns die Biologie weismachen will, wir seien nur triebgesteuerte oder raffiniert handelnde Anhängsel unserer Gene, um sie möglichst weit zu streuen, und dass uns daher individueller Egoismus und das Durchsetzen des Stärkeren zum Vorteil gereicht, ist dies nur ein Teil der Wahrheit. Tatsächlich sind wir als Menschen auch soziale Wesen. Evolution schließt also weder Moral noch soziale und altruistische Verhaltensweisen aus. Egoismus mag sinnvoll sein für kurzfristige Handlungen und erfolgreich beim Kampf oder während der Flucht, aber Altruismus, d.h. das Bestreben sich selbst für ein höheres Ziel, die Familie, die Gruppe oder das Volk zu opfern, spielt mindestens eine ebenso große Rolle und war bedeutend für unsere Evolution als soziales Wesen. Wir sind hin- und hergerissen zwischen Selbstsucht und Selbstlosigkeit. Dieses Spannungsverhältnis ist auch von Bedeutung für den vorherrschenden Konsumismus. Individualismus und das Streben nach Neuem hat eine wichtige Funktion bei der Anpassung an neue ungewohnte Umweltbedingungen, doch ebenso auch Selbstlosigkeit und das Streben nach Tradition und Bewahrung. Der Kerngedanke des Kapitalismus mit seinem Leitbild des ungezügelten freien Marktes spricht allerdings nur die eine Seite unseres evolutionären Erbes an, die, die auf schnelle, leicht schwindende Bedürfnisbefriedigung, Statuswettbewerb, Konkurrenz und Wettbewerbsdenken ausgerichtet ist. Damit fördert die moderne Wirtschaft, die einen Großteil der zwischenmenschlichen Interaktionen in unserer Gesellschaft bestimmt, eher die negativen Seiten unserer Natur. Will man effektiv etwas ändern, muss man also auch daran gehen, das Wirtschaftsmodell zu reformieren oder zu modernisieren und an die momentanen Gegebenheiten anzupassen.

Das gegenwärtige System steigert stetig die Arbeitsproduktivität!

Die real funktionierende Wirtschaft hat ein Problem. Sie misst jedem Gut einen bestimmten Wert bei. Da die Wirtschaftsakteure im Wettbewerb untereinander stehen, versuchen sie gezwungenermaßen sich gegenseitig zu übervorteilen, und müssen sich notgedrungen gegen Mitbewerber durchsetzen. Dies gelingt nur, indem sie in Übereinkunft mit der herrschenden Moral in unserer Gesellschaft möglichst effektiv und effizient agieren. Rohstoffe oder Produktionsfaktoren, die zu teuer sind, werden gegen billigere und leichter verfügbare Produktionsfaktoren substituiert. Das Problem in den modernen westlichen Gesellschaften ist, dass es oft der Faktor Arbeit ist, der durch Kapital und Maschinen substituiert wird. Da der Faktor Arbeit mit Gebühren, Sozialabgaben und steigenden Nominallöhnen belastet ist, ist er gegenüber alternativen Produktionsfaktoren oft im Nachteil. Wirtschaft sich selbst überlassen ist vorrangig bestrebt die Produktivität zu erhöhen und dabei insbesondere die Arbeitsproduktivität, was bedeutet, dass im gegenwärtigen Wirtschaftsmodell Arbeit als Grundlage gesellschaftlicher Teilhabe für alle langfristig ausgedient hat. Modelle wie das bedingungslose Grundeinkommen nehmen diese Lage durchaus ernst und preisen die Möglichkeit, selbstbestimmt zu entscheiden, eine Arbeit auszuüben oder den Wunsch nach mehr Freizeit umzusetzen, sogar als Segen für die Menschheit. Einer sinnvollen Beschäftigung nachzugehen ist aber mehr als das und sollte nicht einfach nur nach finanziellen Gesichtspunkten bewertet werden. Damit wird ein Problem offenbar: Das momentane Wirtschaftsmodell krankt. Und einen kranken Patienten schickt man gemeinhin zum Arzt.

Was kann man tun?

Fraglich ist, wie man die sozialen, wirtschaftlichen und planetarischen Gegebenheiten und Voraussetzungen so miteinander versöhnen kann, dass auch für zukünftige Generationen ein halbwegs gutes Leben ermöglicht wird. Und dies möglichst geschmeidig und ohne große Reibungsverluste, und schon gar nicht durch einen Akt von Revolution oder einer Veränderung der menschlichen Natur. Anarchie bei ohnehin umwälzenden Randbedingungen eines drohenden Klimawandels, von Massenarbeitslosigkeit, Migration und abnehmender Ressourcenbasis oder Verteilungskämpfe oder Kriege um die letztlich verbliebenen Nischen menschlichen Wohlergehens ist ungefähr das letzte, was wir im Moment brauchen. Tim Jackson schlägt eine Lösung vor, mit der es gelänge sinkenden Materialverbrauch und steigenden Wohlstand auch ohne normatives Wachstum der Wirtschaft zu ermöglichen. Der Wirtschaftswissenschaftler der Universität von Surrey in Großbritannien, der mit seinem Buch „Wirtschaft ohne Wachstum“ einen Bestseller schrieb, sieht besonders in unserer Gesellschaftsstruktur der modernen Zivilisation ein Problem. Um der Sucht nach Neuem oder dem ständigen Statuswettbewerb bei gleichzeitig gefühlter Sinnleere zu begegnen, ist es wichtig, mehr Gleichheit in unserer Gesellschaft zu erreichen, die Verwirklichkeitschancen für alle zu erhöhen und Arbeit als soziales Gut anzusehen.

Mehr Dienstleistung als Lösung!

Schon nach Aristoteles braucht es mehr als materielle Sicherheiten, um zu gedeihen und ein gutes Leben zu führen. Gestiegene Verwirklichkeitschancen bedeuten die Fähigkeit zu lieben und geliebt zu werden, Respekt und Achtung in der Gruppe zu erfahren, Zufriedenheit aus Lebenssinn und Würde zu spüren und einer sinnvollen Tätigkeit (Beschäftigung) nachzugehen. Gesundheit, Familie, Freundschaften, Freiheit, Autonomie, Erfüllung bei der Arbeit sind Grundelemente eines glücklichen und sinnvollen Lebens. Um die Teilnahme am Leben der Gesellschaft zu erlauben, ist es besonders die Arbeit, die eine vollkommen neue Bedeutung erlangen und aufgewertet werden muss. Weg vom zu teuren und leicht zu substituierenden Gut hin zu einem wertgeschätzten und wertvollen Element des menschlichen Lebens überhaupt. Und dabei gleichzeitig das Übel der Ungleichheit beseitigen. Letzteres gelänge, wenn wir erkennen würden, dass Konsumismus, mit dem wir uns von anderen absetzen wollen, dem Planeten mehr schadet als nutzt, und wir dadurch nur falschen Göttern und trügerischen Träumen hinterherjagen und spätestens am Sterbebett deren vollkommene Sinnlosigkeit anerkennen müssen. Um die planetarischen Grenzen der begrenzten Ressourcen zu achten, müssen wir zudem den Materialverbrauch drastisch reduzieren. Nach Tim Jackson gelänge uns das dadurch, dass Arbeit und deren intrinsischer Wert über die darüber investierte Zeit mehr in den Vordergrund gerückt würde. Gerade in der Pflege, im Handwerk und in der Kultur ist die Zeit als Inhalt aussschlaggebend. Es ist die Zeit, die dem Gut eines Handwerkers, eines Zimmermanns, eines Töpfers, eines Schneiders oder eines Steinmetz den Wert verleiht, ganz entgegen der Logik der Arbeitsproduktivität in der modernen Wirtschaft, die möglichst alles durch Maschinen ersetzen will. Keiner käme auf die Idee die Sonaten von Bach einfach mal etwas schneller zu spielen. Dienstleistungen wie z.B. in Pflegeberufen, aber auch in der Bildung, in Museen, Freizeitanlagen, dem Erhalt und der Pflege von Grünflächen, von Parks und Naturreservaten, Erholung, Instandhaltung und Wartung, Handwerk, Kultur basieren per se auf einem bestimmten Niveau von Materialdurchsatz. Um der Produktivitätsfalle zu entkommen, müssen wir die Arbeit mehr in Richtung beschäftigungsreicher Sektoren verlagern mit geringer Arbeitsproduktivität und niedrigem Produktivitätswachstum. Gerade bei Tätigkeiten, die materialarm und beschäftigungsreich sind, erleben wir oftmals ein stärkeres Gefühl von Wohlbefinden und Erfüllung. Dies böte überdies auch die Möglichkeit für Vollbeschäftigung.

Geht das überhaupt im Einklang mit Nullwachstum?

Das Problem in dienstleistungsbasierten Sektoren ist, dass durch die geringe Produktivität die Kosten relativ zu den produktiveren Sektoren zunehmen. Dadurch werden sie aus dem Markt gedrängt oder einem straffen Zeitlimit unterworfen. So sind in unserer Wegwerfgesellschaft Reparaturen oder Renovierungen einfach zu teuer. Es kommt hierbei also auch auf den Staat an, der als Anbieter solcher Dienstleistungen auftritt. Ist die Nachfrage nach solchen Dienstleistungen preisunelastisch, d.h. sind sie trotz hoher Kosten von großer Bedeutung, dann macht der Sektor einen steigenden Anteil an den Ausgaben der Gesamtwirtschaft aus, wie es z.B. im Gesundheitsdienst oder der Bildung der Fall ist. Eine Gesellschaft, die ihren Dienstleistungssektor erhalten will, strebt langfristig also auf Nullwachstum zu. Der französische Ökonom Thomas Piketty hat in seinem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ die These aufgestellt, dass bei fallendem Wachstum die Ungleichheit zunähme. Dieses von ihm benannte „Gesetz des Kapitalismus“ führt nach seinem Modell dazu, dass der Anteil des Kapitals, das bekanntlich eher bei Reichen angesiedelt ist, gegenüber den Einkommen praktisch gegen unendlich laufen würde. Tim Jackson konnte mit Hilfe eines Modells jedoch zeigen, dass Nullwachstum durchaus mit einer gerechten Gesellschaft vereinbar ist, wenn die Substitutionselastizität zwischen Kapital und Arbeit gering ist, genau so, wie es gerade bei vielen dienstleistungsorientierten Unternehmen der Fall ist.

Brauchen wir immerwährendes Wachstum, um Schulden zu bedienen? Auch hier konnte Tim Jackson mit Hilfe eines Modells der Finanzströme darlegen, dass Zinsen auf Fremdkapital durchaus vereinbar mit einem resilienten, stationären oder quasi-stationären Zustand der Volkswirtschaft sein können. Werden in einer Simulation bestimmte Schockzustände aufgebracht, wie üblicherweise in bestimmten Krisen, so kehrt die Wirtschaft langsam wieder in ihren stabilen Zustand zurück. Ganz anders im gegenwärtigen Wirtschaftssystem, das inhärent instabil ist und nur funktioniert, wenn immer mehr konsumiert wird. Tim Jackson konnte also zeigen, dass es nicht die Fremdkapitalzinsen sind, die einen Wachstumsimperativ beinhalten.

Tim Jackson propagiert zudem, dass ein progressiver Staat, ganz anders als das liberale Modell eines Staates, der die Wirtschaft praktisch frei gewähren lässt, mit Regulierungen dafür zu sorgen hat, dass wir innerhalb der planetarischen Grenzen verbleiben. Er spricht sich für den Staat in der Rolle eines „Employer of last resort“ aus, der auch in Krisenzeiten ein hohes Beschäftigungsniveau aufrechterhält. Auch das BIP als Indikator könnte eine Rolle spielen als Maß für wirtschaftliche Aktivität, aber nicht als Indikator für Wohlstand. Zudem plädiert er für ein Vollgeldsystem, bei dem der Staat selbst eine geldschöpfende Funktion innehat und nicht die Banken. Gegenwärtig leiht sich der Staat sein Geld bei den Banken gegen Zinsen. Im Vollgeldsystem schöpft der Staat Geld selbst und bezahlt damit wichtige Investitionen, die er tätigt, gerade in dem Maße, dass die Inflation in bestimmten Grenzen gehalten wird.

Ja, es geht!

Auf diese Weise gelingt es Tim Jackson Visionen für eine Welt ohne Wachstum aufzuzeigen, die auf geringerem Materialverbrauch, weniger Konsumismus und größerer gesellschaftlicher Gleichheit basiert. Arbeit nimmt dabei eine wichtige Stellung ein. Nicht nur als Mittel zum Unterhalt, sondern für gesellschaftliche Teilhabe. Eine bestimmte Materialintensität wäre allerdings auch weiterhin notwendig. Schließlich brauchen wir unsere Maschinen und notwendigen Güter, aber ohne den Planeten zu sehr zu belasten. Hier wäre es sinnvoll eine Kreislaufwirtschaft zu etablieren, um Ressourcen zu schonen. Auch der Finanzsektor wäre weiterhin wichtig, aber mit sozialen und „grünen“ Investments. Damit gelingt es Tim Jackson also, das Unmöglichkeitstheorem zu widerlegen, das in vielen Köpfen herumspukt, nämlich dass

  • Volkswirtschaften wachsen müssen, um zu überleben,
  • Menschen süchtig sind nach Konsum und
  • Regierungen machtlos sind und nicht intervenieren können.

Allerdings sind die notwendigen Veränderungen nicht vereinbar mit dem Kasinokapitalismus oder dem Konsumkapitalismus, wie es gegenwärtig der Fall ist. Letztlich landen wir irgendwo zwischen Kapitalismus und Sozialismus, in dem der Akkumulationsdruck des Kapitals nicht mehr so groß ist wie bisher. Für die Wirtschaft von morgen braucht es also neue Konzepte von Produktivität, Rentabilität, Vermögensbesitz und Kontrolle über die Verteilung von Überschüssen, was auch die Einführung von innovativen Beteiligungsmodellen bedeuten könnte. Praktisch braucht es noch viel Forschung über die damit verbundene Makroökonomie!

Der aktuelle Bericht des Club of Rome

1972 wurde der erste Bericht des Club of Rome „Grenzen des Wachstums“ veröffentlicht, der eine Auflage von mehreren Millionen erzielte. Es wurde schon damals auf die natürlichen planetarischen Grenzen unseres Heimatplaneten hingewiesen, und beschrieben, dass Wachstum, so wie wir ihn gewohnt sind, mit all seinem Überfluss und Konsum in den reichen Ländern und gleichzeitig bitterer Armut und Arbeitslosigkeit in armen Ländern mit seinem ausgeprägten Nord-Süd-Gefälle wie auch der Schere zwischen Reich und Arm die Menschheit, die Biosphäre und den Planeten insgesamt gefährden. Seit 1970 ist aber der ökologische Fußabdruck der Menschheit noch einmal extrem angestiegen, so dass eigentlich 1.6 Planeten für unseren täglichen Verbrauch nötig wären, die jährlichen Treibhausgasemissionen haben sich seitdem fast verdoppelt und über 48% der tropischen und subtropischen Wälder wurden in dieser Zeit zerstört. Zudem hat sich die Weltbevölkerung auf nunmehr 7.9 Milliarden beinahe verdoppelt und manche Szenarien gehen im Jahr 2050 von einer Weltbevölkerung von 10 Milliarden Menschen aus. Auch wenn die Modelle, die zur Vorhersage verwandt wurden, von festen Parametern und statischen mathematischen Beziehungen ausgingen, wurde schon damals für spätestens 2100 Ressourcenknappheit vorhergesagt, insbesondere in Bezug auf fossile Energieträger und andere Rohstoffe, verbunden mit hoher Umweltverschmutzung, Hunger und Armut. Selbst wenn die damals verwendeten Modelle zu einfach waren, um eine sichere Vorhersage zu ermöglichen, konnten die Grundtrends praktisch bestätigt werden und es ist nur der Resilienz unseres Planeten zu verdanken, dass sich die Lage noch nicht dramatisch zuspitzt. Dies muss aber nicht ewig so weitergehen. Seit dieser Zeit hat sich nicht viel verändert in unseren Köpfen und Herzen. Der „Business as usual“-case führt uns jedoch, wenn wir Menschen nicht schnell genug auf die Veränderungen reagieren, geradewegs ins Verderben. In diesem Fall wurde der globale Kollaps vom Club of Rome bereits für 2030 vorhergesagt. Auch im neuen Bericht des Club of Rome „Wir sind dran. Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen“ wird eine Bestandsaufnahme des Status Quo präsentiert und neben düsteren Zukunftsprognosen auch hoffnungmachende mögliche Lösungsalternativen aufgezeigt. Die Technologien für einen Wandel sind längst da. Jedoch ist dafür eine große Transformation in unserem Leben und in unseren Köpfen Bedingung. Einfach abzuwarten mit der Hoffnung die Technik und der Markt, die uns eigentlich erst in diese prekäre Lage gebracht haben, würden es in Zukunft schon richten, ist keine gute Option. Mit Recht wird auf sogenannte Kipppunkte hingewiesen, im Ökosystem, im Ozean und besonders im Klima, bei deren Überschreitung die Entwicklung in unkontrollierbare Richtungen derart rasant erfolgt, dass ein Umlenken und vernünftiges technologisches Eingreifen beinahe unmöglich gemacht werden. Im Moment stehen wir knapp vor einem solchen globalen Kipppunkt und wenn wir nicht zügig handeln, sehen die Zukunftsperspektiven für uns alle nicht gut aus.

Der Klimawandel und seine möglichen Auswirkungen

Wir befinden uns in der Ära des Anthropozäns. Der Mensch war in der Vergangenheit mehr und mehr in der Lage die Natur auf seine Weise zu zähmen und sich gefügig zu machen. Nun erfahren wir, dass die Natur mit ihren Mitteln zurückschlägt. Das fein austarierte Gleichgewicht zwischen O2, CO2 und NOx in unserer Atmosphäre verändert sich. Seit Ewigkeiten war der Kohlenstoff im Erdreich vergraben und dem Zugriff des Menschen entzogen. In Millionen von Jahren von Entwicklung auf unserem Planeten wurde der Atmosphäre Stück für Stück ein Teil ihres Kohlendioxids entzogen und in tiefen Erdschichten eingelagert, so dass die Lebensumstände für die Gattung Mensch immer besser wurden. Trotz episodischer Klimaschwankungen wie z.B. auf Grund von periodischen Eiszeiten, wurde das Leben in den vergangenen 10.000 Jahren für Menschen vielerorts immer günstiger. Durch die industrielle Revolution seit dem 17. und 18. Jahrhundert begann der Mensch aber in großem Ausmaß Kohle, Öl und Gas für seine Zwecke zu gebrauchen und sprichwörtlich in die Luft zu blasen. Die damit einhergehende Sättigung der Atmosphäre mit CO2 führt jedoch zwangsläufig zu klimatischen Veränderungen, da Kohlendioxid ein Treibhausgas ist und sich die Atmosphäre stetig weiter aufheizt, da die Sonnenstrahlen nicht, wie sonst üblich, ins Weltall, sondern zurück auf die Erdoberfläche gestreut werden. Hinzu kommen ozeanische Effekte. Der Ozean macht fast 70% der Erdoberfläche aus und ist ein immenser Wärmespeicher, übersäuert durch die Aufnahme von Kohlendioxid aus der Luft und gerät dabei ebenfalls aus dem Gleichgewicht. Mit dem Schwinden der Eiskappen an den Polen verschwinden zudem großflächige Reflektoren für Sonnenlicht, die eine weitere Erwärmung verhindern könnten. Durch das Abschmelzen von Eis im Meer steigt der Meeresspiegel deutlich an, da im Eis über den Landmassen wie z.B. der Antarktis große Mengen an Süßwasser gebunden sind. Durch das Aufheizen des Ozeans und der Luft besteht die Gefahr, dass außergewöhnliche Wetterphänomene im Atlantik und Pazifik wie Hurrikans, Zyklone, Wirbelstürme oder Monsunregen in ihrer Heftigkeit zunehmen, da viel Wasser durch Verdunstung in die Atmosphäre gelangt und zu gewaltigen Wolkenmassen führt, die heftig und schnell sich in kürzester Zeit in betroffenen Landstrichen abregnen. Kritische Wetterphänomene wie große Hitze und Dürre, aber auch Starkregen und Überschwemmungen nehmen zu, die eine geordnete Landwirtschaft erschweren und damit die Ernährung einer immer weiter wachsenden Bevölkerung in Frage stellen, viele Gebiete auf der Erde unbewohnbar machen, als auch allgemein uns Menschen große körperliche Anstrengungen im normalen täglichen Leben abverlangen könnten. Schlimmstenfalls werden im Zuge dieser Entwicklung bestimmte Kipppunkte überschritten wie z.B. das Auftauen der Permafrostböden in der Tundra, die bisher in der Lage waren, sehr viel Methan im gefrorenen Boden zu speichern oder im Eis eingeschlossene Methanlagerstätten am Meeresgrund, so dass bei fortschreitender Erwärmung viel Methan unkontrolliert in die Atmosphäre gelangen könnte. Da Methan ein sehr viel stärkeres Treibhausgas darstellt als Kohlendioxid, wird dadurch die Erderwärmung noch einmal rasant beschleunigt. Auch das Zusammenbrechen des Golfstroms zwischen dem Golf von Mexico und dem Nordatlantik ist möglich, wenn durch Abschmelzen von Eis an den Polkappen sich die Dichte des Meereswassers, als auch in Folge einer allgemeinen Temperaturerhöhung sich das Gleichgewicht zwischen kalten und warmen Wassermassen ändert. Bisher sorgt der Golfstrom für milde Winter in Europa wie auch erträgliche Sommerperioden. Ein Zusammenbrechen des Golfstromes würde zu einer neuen Eiszeit in Europa führen mit all ihren negativen Begleiterscheinungen. Seit 1972 ist die Qualität der Klimamodelle stetig gestiegen und den Wissenschaftlern gelingt es durch ausgefeilte Modelle und Annahmen das zukünftig zu erwartende Klima immer genauer und besser vorherzusagen. Dennoch bleibt ein hohes Maß an Unsicherheit. Daher hat man die 2-Grad-Regel ausgegeben. Um globale Kipppunkte im Klima zu vermeiden und um überhaupt ein lebenswertes Dasein für die Menschheit auch für zukünftige Generationen zu sichern, muss die globale mittlere Lufttemperatur unbedingt in gewissen Grenzen gehalten werden. Auf Grund neuerer Klimavorhersagen wird deutlich, dass selbst bei einer Erhöhung von 2 Grad die Auswirkungen auf das Leben auf unserem Leben so drastisch sind, dass es sogar zu Gebote steht, die globale mittlere Erderwärmung auf nur 1.5 Grad zu begrenzen.

In der Industrie und bei Investoren sieht man die drohende Entwertung der Werte, die in Bezug auf fossile Brennstoffe in Kraftwerken, Autos und Fabriken gebunden sind, mit Besorgnis, was die Widerstände in der Wirtschaft und den schleppenden Ausbau von klimafreundlichen Technologien teilweise erklärt. Allerdings wurde bereits Ende 2016 bei Bloomberg berichtet, dass es einen deutlichen Wendepunkt gibt, was die Kostensenkung bei CO2-freien Energien angeht. In den USA ist Sonnenenergie mittlerweile die billigste Form der alternativen Stromerzeugung und Kohle ist kein sinnvoller Energieträger mehr. Die vielfach hochgelobten CO2-neutralen Biokraftstoffe sind allerdings problematisch, wenn dafür riesige Flächen an Urwäldern in Indonesien oder Brasilien abgeholzt werden, nur um stattdessen gigantische Monokulturen aus Mais oder Palmöl anpflanzen zu können.

Die steigende Verbrauchsrate der Menschheit hat massive Veränderungen in der Atmosphäre und Biosphäre verursacht. Wir befinden uns in der sechsten Artensterbewelle, allein durch uns Menschen verursacht. Der Verlust an Biodiversität ist groß. Der Markt allein kann es nicht richten. Wir benötigen einen schnellen Crash-Plan und müssen handeln.

Der technologische Fortschritt und seine Begleiterscheinungen

Durch technologischen Fortschritt haben wir die Natur um uns herum transformiert. Der Wissenschaftsglaube und die empirische Denkweise dominieren im Westen spätestens seit der Aufklärung, die den linearen rationalen und wissenschaftsorientierten Verstand über die intuitive, ganzheitliche und organische Denkweise setzte, durch die sich der Mensch in der Antike noch als Teil der Natur empfand und nicht als von ihr abgetrennt. Das Prinzip eines in der Welt wirkmächtigen Gottes, der im Prinzip in der Lage wäre das Weltgeschehen zu beeinflussen, wurde wegen der Möglichkeit einer mechanistischen Beschreibung aller physischen Vorgänge als vollständig überflüssig erachtet oder durch das Bild eines weltfernen kosmischen Prinzips ersetzt, während der Mensch als vermeintliche Krone der Schöpfung über diese zu gebieten habe. In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts begann eine allmähliche Rückbesinnung, als man erkannte, dass auf der subatomaren Ebene, d.h. im Rahmen der Quantenmechanik, der Geist und das Bewusstsein selbst und damit die Verbindung zwischen Geist und Materie eine tragende Rolle spielen und im Prinzip alles mit allem verbunden ist und unsere Auswirkung auf die Natur letztlich wieder auf uns selbst zurückwirkt. Es wurden vereinzelt Parallelen zu östlichen Mystiken wie dem Hinduismus, dem Buddhismus oder dem Taoismus gezogen, wo man seit jeher die Welt als zutiefst organisch und ganzheitlich empfindet und sich weniger auf den rationalen Verstand konzentriert, sondern Erleuchtung über einen Prozess der unmittelbaren Erfahrung im Gefühl des Einsseins mit dem Alleinen zu erlangen sucht wie z.B. über meditative Techniken oder Körpererfahrungen wie Yoga in Indien oder Tai Chi in China. Diese Einsicht ist allerdings bisher noch nicht in den allgemeinen Wissensschatz eingedrungen, sondern wird durch den herrschenden Materialismus verbunden mit einem kritiklosen Reduktionismus, der in der modernen westlichen Kultur vorherrscht, kategorisch geleugnet. Es überwiegt nicht erst seit den 1970er Jahren ein expansiver, invasiver und konkret wettbewerbsorientierter Lebensstil, der den Menschen als eine von der Natur abgelöste Kreatur ansieht, und sein Ziel darin sieht diese als eine von einem weltfernen Gott dargebotene Schöpfung und ihre wertvollen Gaben für eigene Zwecke und kurzfristige Ziele schamlos auszubeuten, ohne die Folgen auf sich und die Nachwelt zu bedenken.

Die Wirtschaft als tragende Säule trug das ihrige dazu bei. Während nämlich seit den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts und nach dem zweiten Weltkrieg die richtigen Lehren aus der Weltwirtschaftskrise gezogen wurde, wurden die Stellschrauben sukzessive zurückgedreht. Der Dollar als Ankerwährung wurde nach Bretton Woods ersetzt durch flexible Landeswährungen, die seitdem sehr volatil sind, und in der Reagan- und Thatcher-Ära in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde der Finanzmarkt drastisch dereguliert. Der in der angelsächsischen Welt einsetzende Monetarismus und Liberalismus mit dem Irrglauben, dass der Markt allein es richten werde, hat dazu geführt, dass der Finanzsektor die führende Rolle übernahm und das Denken und Wirken in der Wirtschaft dominierte. So erreichte zum Beispiel 2010 der Umsatz internationaler Finanztransfers die Höhe von 4 Billionen USD pro Tag, Derivate nicht mitgezählt. Der Umsatz von grenzüberschreitenden Gütern und Dienstleistungen betrug hingegen nur 2% dieses Umsatzes. Durch die geldschöpfende Funktion der Banken hat sich das Finanzvermögen gegenüber der Realleistung seitdem extrem aufgebläht. Da in der Logik der Finanzindustrie Kapital als treibendes Element gilt und vermehrt wird, indem es in renditeträchtige Verwendungen investiert wird, wurden die reichsten Menschen dabei noch reicher, während Reallöhne stagnierten und die Mittelschicht erodierte. Das reichste 1% der Menschheit oder, noch abscheulicher, die reichsten acht Menschen der Welt besitzen so viel Reichtum wie die gesamte ärmste Hälfte der Weltbevölkerung. Der Wert der Finanzprodukte ist vom 4-fachen des BIP im Jahr 1980 auf das 10-fache des BIP im Jahr 2007 gestiegen. Der Anteil des Finanzsektors an der gesamten Wirtschaftsleistung wuchs von 10% auf 40%. In den USA und anderen OECD-Ländern hat sich der staatliche und private Schuldenstand von 1980 bis 2007 glatt verdoppelt. 25% der weltweiten Treibhausgase werden von den reichsten 1% Amerikanern produziert. 10% der reichsten Haushalte der Welt tragen zu 45% der Gesamt-Treibhausgasemissionen bei.

Im Zuge der Entwicklungen in der Digitaltechnik und der Nutzung digitaler Medien wie Smartphones als Lifestyle-Produkt ist der Informationstransfer zwischen verschiedensten Teilen der Welt sehr erleichtert worden. Durch die Nutzung sozialer Medien ist der Einfluss der Printmedien, Radio- oder TV-Kanäle, die bisher die Meinungsbildung bestimmten, deutlich zurückgegangen. Das Primat der Vernunft wurde ersetzt durch schnelle, unkontrollierte Meinungsäußerung auf Twitter oder in sozialen Medien, wo Dummheit zur Maxime erhoben wird mit Verweis auf „Fake News“, alternative Fakten oder postfaktische Zeiten, in denen Gewissheiten verschwimmen oder zu einem üblen Gebräu verrührt werden und die offenbar auf viele Menschen ansteckend wirken. Seitdem erstarken populistische und protektionistische Strömungen in verschiedenen Ländern, die die seit dem zweiten Weltkrieg errungenen Fortschritte auch auf politischer Ebene wieder rückgängig machen wollen, auch was die Zusammenarbeit in den Vereinten Nationen angeht, die als Reaktion auf die vergangenen zwei Weltkriege gebildet wurden. Die demokratischen Prinzipien sollen dabei ausgehöhlt und sukzessive durch nationalstaatliche Bestrebungen ersetzt werden. Anstatt gemeinsam an den großen Problemen der Menschheit zu arbeiten, dominiert allenthalben das Recht des Stärkeren und jeder Regierungschef meint auf der Weltbühne nur die Interessen der eigenen Bevölkerung durchsetzen zu müssen, nicht zuletzt durch Ausübung von Gewalt. Angesichts der Komplexität des Welt- und Naturgeschehens ist man eher gewillt, sich auf die eigene bekannte Scholle zurückzuziehen, Probleme auszublenden oder sie komplett zu ignorieren und stattdessen einfache Lösungen anzubieten. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist gut zu verstehen und sucht sich nur ein für sie geeignetes Ventil. Anstatt die Probleme jedoch konstruktiv anzugehen, werden sie durch unbedachtes Handeln nur verschlimmert.

Die Chance für eine prosperierende Zukunft für alle ist da. Angesichts der vielen Gewalt in der Welt, des schwelenden Terrorismus in vielen Teilen der Welt und der ökologischen und ökonomischen Schwierigkeiten kann man aber leicht die Hoffnung verlieren und den Mut sinken lassen. Es ist fraglich, ob alle Führungskräfte der Welt, nicht nur die Führer der einzelnen Länder, sondern auch die CEO’s weltumspannender oder größerer Unternehmen, allmählich beginnen zu verstehen, was auf dem Spiel steht und entsprechend reagieren. Es geht um nichts geringeres als die Zukunft der Menschheit. Jeder, auch die einzelnen Bürger*innen sind gefragt. Da wir so wie bisher nicht weiterkommen, ist nichts weniger nötig als eine neue Aufklärung. Alle müssen mithelfen, sich engagieren, Druck machen auf die Politik. Nur gemeinsam werden wir es schaffen, damit unsere Enkel von uns einen gesunden Planeten Erde erben und es eine lebenswerte Zukunft für alle sein wird!

Leere Welt vs. volle Welt

Wichtig zu sehen ist, dass wir aus dem Paradigma einer leeren Welt, in der die Ressourcen unermesslich schienen und es viel freies und unbekanntes Land gab, in das Paradigma einer vollen Welt geraten sind, in der die Ressourcen sich allmählich erschöpfen und unser Wachstum auf natürliche planetarische Grenzen stößt. Viele meinen den Faktor Mensch gegen den Faktor Natur austauschen zu können. Doch können wir wirklich einen Zehn-Pfund-Kuchen mit nur einem Pfund Zutaten einfach durch die Verwendung von mehr Köchen und Öfen produzieren? Nach dem Gesetz von der Erhaltung von Masse und Energie (erster Hauptsatz der Thermodynamik) in einem geschlossenen System muss man der Natur zwangsläufig Stoffe und Energie entziehen und verkleinert dadurch deren Potenzial. Mehr menschliche Wirtschaft bedeutet weniger natürliche Umwelt. Es besteht ein Konflikt zwischen Wirtschaft und Umwelt. In einer vollen Welt gibt es auch keine natürliche Senke für Abfälle, die aus negativen Externalitäten resultieren, wie sie von Ökonomen beschönigend genannt werden. In einer vollen Welt werden solche Externalitäten nicht einfach absorbiert, sondern schädigen Menschen und den Planeten gleichermaßen. Nach dem zweiten Satz der Thermodynamik nimmt die Entropie ständig weiter zu. Aus Stoffen mit niedriger Entropie (komplexe Struktur) werden zwangsläufig hoch entropische (d.h. degradierte) Abfälle, die wieder zurück in die Ökosphäre gelangen. Man spricht von dissipativen Strukturen. Die Aufrechterhaltung dieses Ressourcen-Durchsatzes, der zwangsläufig irgendwann enden muss, verursacht an beiden Enden Kosten, die für die Produktion, Wartung und Reproduktion des Bestandes von Menschen und Reichtum unausweichlich sind. Dieses Prinzip macht nur solange Sinn, wie der marginale Nutzen der zusätzlichen Wirtschaftsdienstleistungen den Grenzkosten der geopferten Ökosystemleistungen entspricht. Jenseits dieses Optimums ist das Wachstum unwirtschaftlich. Es gibt also nicht nur eine planetarische, sondern auch eine ökonomische Wachstumsgrenze, jenseits der der Aufwand, um mindestens den Status Quo zu halten, immer weiter zunimmt. Wir bezahlen dabei die Ordnung und Struktur der Wirtschaft mit Unordnung und Zerstörung der Ökosphäre. Wir müssen lernen, unseren Wohlstand massiv vom Naturverbrauch abzukoppeln. So ist fast die Hälfte der fruchtbaren Böden in den letzten 150 Jahren verschwunden, 90% der Fischbestände sind überfischt oder einfach weg, die tropischen Regenwälder als die „Lungen der Welt“ werden für schnellen Profit abgeholzt, viele Arten, Pflanzen und Tiere, die nicht mal bekannt sind, sterben aus, die Biodiversität der Natur nimmt drastisch ab. Menschen und ihre Nutztiere machen etwas 97% des Körpergewichts aller lebenden Landwirbeltiere auf der Erde aus. Nur 3% des Wirbeltierkörpergewichts umfassen den Rest wie Elefanten, Kängurus, Vögel, Reptilien und Amphibien.

Politik und Gesellschaft beugen sich dem Druck der Privatwirtschaft und dem Diktat der Finanzmärkte. Auch die Jugend richtet sich im Status Quo ein. Angesichts einer ständigen Reizüberflutung mit Nachrichten über Probleme und Gewalt in der Welt oder wegen Arbeitslosigkeit, allgemeiner Perspektivlosigkeit und Armut, stumpft sie regelrecht ab und nimmt die Probleme der Welt, wenn überhaupt, nur als eine Art unvermeidbare „Randstörung“ wahr. Anstatt sich aktiv zu engagieren, plant sie beinahe schon mit dem Unvermeidbaren.

Wir befinden uns in einer massiven kulturellen, politischen und moralischen Krise der Demokratien, Ideologien und nicht zuletzt des herrschenden Kapitalismus, in der es nur um schnellen Profit, Gewinnmaximierung und die Maximierung des eigenen Wohls geht. Wir müssen unsere ökonomische Theorien an die volle Welt anpassen. Wir dürfen nicht nur Externalitäten berücksichtigen, sondern müssen die ganze Einstellung, die Prioritäten und Anreizsysteme aller Zivilisationen auf diesem Planeten verändern. Das Geld, das Wissen und die Technologien sind da. Wir brauchen eine rasche Lernkurve bei Solar- und Windenergie und in der Speichertechnik. Notwendig sind eine schnelle Kostensenkung für CO2-freie Energie sowie Treibhausgassteuern und Zölle für Länder, die sich nicht anschließen wollen.

Wir müssen auch vom BIP-Irrtum loskommen. Das BIP (Brutto-Inlands-Produkt) ist zwar in bestimmter Hinsicht ein Indikator für bezahlte Arbeitsplätze, aber unterscheidet nicht zwischen wohlfahrtsverbessernden und wohlfahrtsmindernden Aktivitäten. Auch werden Aktivitäten einfach ausgelassen, die zwar die Wohlfahrt mehren, aber nicht in Geld gemessen werden. So steigert zum Beispiel die Beseitigung einer Ölpest, der Wiederaufbau nach verheerenden Umweltschäden, Wirbelstürmen oder Überflutungen oder Drogenkriminalität wie auch Prostitution das BIP. Häusliche Pflege durch Angehörige oder das ehrenamtliche Mitwirken in Vereinen hingegen nicht. Die Korrelation zwischen dem BIP als wertmäßige Größe und dem physischen Grundumsatz bzw. Ressourcen-Durchsatz ist ziemlich hoch. Eine Entkopplung ist dringend nötig. Dazu ist Entwicklung notwendig, die auf weniger Wachstum basiert. Es sollte nicht so sehr um Wachstum gehen, sondern um nachhaltige Entwicklung. Eine Entkopplung der Produktion von Gütern und Dienstleistungen von nicht nachhaltigem Naturverbrauch und eine eher qualitative Verbesserung der menschlichen Verhältnisse und Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse ohne quantitative Erhöhung des Ressourcendurchsatzes steht zu Gebote. Ein Übergang zu einer nachhaltigen Entwicklung verlangt eine neue Denkweise und eine andere politische und zivilisatorische Philosophie in der gegenwärtig vollen Welt. Das Mantra der Politik nach ständigem Wirtschaftswachstum ist eine leere Worthülse. Das BIP sagt gar nichts darüber aus, wie es um die Wohlfahrt der Menschen und der Natur bestellt ist.

Was sind die größten Herausforderungen?

In den Vereinten Nationen wurden im Rahmen der Agenda 2030 drei Monate vor der Pariser Klimakonferenz 17 Nachhaltigkeitsziele, die sogenannten SDG’s („Sustainable Development Goals“) sowie 169 Unterziele zur Präzisierung der SDG’s formuliert und verabschiedet. Jedoch gibt es Widersprüche zwischen sozioökonomischen und ökologischen SDG’s. Sollen die Ziele global auf der Grundlage konventioneller Wachstumsstrategien erreicht werden, ist es praktisch unmöglich, gleichzeitig die Geschwindigkeit der globalen Erwärmung zu reduzieren, die Überfischung der Ozeane oder Landverschlechterung zu stoppen, geschweige denn den Verlust der Biodiversität aufzuhalten. Nicht die Armut, sondern der Wohlstand ist der eigentliche „Verschmutzer“.

Im Pariser Klimaschutzabkommen im Dezember 2015 haben sich alle teilnehmenden Länder darauf geeinigt, die Treibhausgasemissionen stark zu reduzieren, um den Klimawandel aufzuhalten. Dafür muss die Kohlenstoffintensität der Weltwirtschaft um mindestens 6.2%/Jahr, besser 10% jährlich, reduziert werden. Faktisch waren es aber zwischen 2000 und 2013 nur durchschnittlich 0.9% jährlich. Das 1.5-Grad-Ziel ist so nicht einzuhalten. Es ist zu erwarten, dass unter den jetzigen Bemühungen schlimmstenfalls eine Erhöhung um 3 Grad oder bis zu 4 Grad möglich sein kann. Dann würden aber bestimmte Kipppunkte erreicht und die Ergebnisse wären verheerend. Darauf zu setzen, dass wir später mit bestimmten Technologien im Rahmen von Geo-Engineering wie z.B. CCS („Carbon Capture and Sequestration“) oder biogener BECCS durch großflächige Pflanzen- und Bodenveränderung den Zustand wieder rückgängig machen können, ist illusorisch. Dazu wäre die Größenordnung für diese Maßnahmen einfach zu immens, um effektiv zu arbeiten.

Die Wirtschaft ist disruptiv, d.h. die Entwicklung vollzieht sich in Schüben mit diskontinuierlichen Übergängen. Zur Zeit befinden wir uns in der digitalen Revolution. Innovationen und neue Technologien sind durch die Digitalisierung in rasanter Entwicklung begriffen. Sie verändern Prozesse und erschüttern Märkte. Allerdings die Hoffnung auf Null-Grenzkosten, oder das Vertrauen auf das Aufkommen der Sharing-Economy sind ökologisch und ökonomisch fragwürdig. Was passiert z.B. mit all den Schadstoffen, wenn jeder einen 3D-Drucker bei sich zu Hause hat? Oder wer investiert in neue Technologien, wenn nur wenige Menschen die Produkte nachfragen? Auch der sogenannte Rebound-Effekt kann mögliche Effizienzsteigerungen konterkarieren, indem einfach mehr von den entsprechenden oder anderen, nicht weniger die Natur belastenden Produkten nachgefragt wird und dadurch der Einsparungseffekt wieder zunichte gemacht wird. Die Entwicklung der Technologie ist exponentiell. Visionäre wie Ray Kurzweil von Google erkennen schon eine Singularität am Horizont oder einen Punkt Omega, bei dem wir als Menschheit von einer von uns selbst erzeugten Art von Super-Intelligenz abgelöst werden. In der Tat beherrschen wir aktuell neueste Techniken zur künstlichen Veränderung oder Mutation von Erbsubstanz von Pflanzen, Tier und Mensch. So sind einfache Bio-Hack-Labore für den Heimgebrauch bereits jetzt schon Realität. Die unbedachte Verbreitung von „Gen Drives“ durch Veränderung des Erbguts von Nutzpflanzen oder die Herstellung von Super-Bugs, die einen großen Teil der Menschheit auslöschen könnten, sind möglich. Die allgemeine Moral und Verantwortlichkeit der Menschheit hinken wie so oft dem technologischen Wandel hinterher. Wir brauchen daher unbedingt eine neue Aufklärung gerade für die Wirtschaft. Der Wandel im Umfeld ist enorm. So gehen durch die Digitalisierung Arbeitsplätze verloren. Nur an den Rändern, unter Einsatz von Billiglöhnen oder von hochbezahlten MINT-Fähigkeiten („Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik“), entstehen viele neue Arbeitsplätze. Eher traditionelle Arbeitsplätze gehen im Zuge der Digitalisierung wohl verloren. Trotz all der guten Effekte, die wir der Digitalisierung zuschreiben, ist der ökologische Effekt eindeutig negativ. Kritisch ist die exponentielle Zunahme der Nutzung von Energie, Wasser und einigen Ressourcen an Spezialmetallen und seltenen Erden.

Auch ein neues weltweites Moratorium für den Bau neuer Nuklearwaffen ist nötig. So wird schon an neuen und effektiveren Waffen für den taktischen Einsatz geforscht. Die Gefahr eines Atomkriegs ist durchaus nicht gebannt. Es sind immer noch mindestens 2000 Atomwaffen ständig einsatzbereit, die nur auf einen Startbefehl warten. Das ist ein großes Problem, gerade wegen fehlender Moral und instabiler Zustände in den Regierungen der Supermächte.

Die Überbevölkerung der Menschheit ist ein weiteres und wenn nicht das größte Problem. Gerade in armen Ländern, wo der medizinische Fortschritt und die Bildung der Frauen gering und die Kindersterblichkeit hoch sind, werden Kinder als Zukunftssicherung und eine Form von Altersversorgung quasi auf Vorrat gezeugt. Doch wo wollen die ganzen Menschen leben? Von was sich ernähren? Was sollen sie arbeiten, um beschäftigt zu sein, um nicht auf dumme Gedanken zu kommen und einen Mehrwert für die Menschheit zu schaffen? Zudem wird der ökologische Fußabdruck der vielen Menschen immer größer werden, wenn viele Schwellenländer den Weg der reichen Industrienationen gehen wollen. In den Entwicklungsländern liegt die Zahl der Geburten pro Frau oft noch zwischen vier und acht. Zum Ende des 19. Jahrhunderts gab es auch in den Industrieländern einen großen Bevölkerungsüberschuss, der durch Auswanderung in freie Besiedlungsgebiete und die Eroberung von Amerika, Afrika oder Australien abgefedert wurde. In einer vollen Welt gibt es freie Besiedlungsgebiete aber nur noch in sehr begrenztem Ausmaße. Zudem birgt die damit verbundene Asyl- und Flüchtlingsproblematik durch die zunehmende Migration auf Grund des Klimawandels, weg von Armut oder Verfolgung, sozialen Zündstoff. Die EU war bisher ein Garant für Frieden, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, das kulturelle Miteinander, Nachhaltigkeit und natürlich auch des freien Binnenmarktes. Durch das Erstarken rechtspopulistischer Kräfte ist die Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in vielen europäischen Ländern aber verstärkt in Gefahr geraten. Zudem entwickeln einige Migranten eine Tendenz zur Ausübung von Gewalt, die sich in Hoffnung auf ein besseres Leben auf den Weg gemacht haben, aber oft durch unserem liberalen und toleranten westlichen Lebensstil desillusioniert werden, der vielfach im Widerspruch steht zu den Gewohnheiten in ihren Herkunftsländern, insbesondere was die Trennung von Religion und Staat und die Rolle der Frau innerhalb der Gesellschaft angeht. Vielfach driften gefährdete Jugendliche aus Frust in religiöse Parallelwelten ab und werden dabei leichte Beute für Radikalisierer, die ihnen als Gegenleistung für die Ausübung von Gewalt gegen Unschuldige im Rahmen einer sehr einfachen Welterklärung einen vermeintlichen Platz im sogenannten Paradies versprechen.

Viele Menschen zieht es in die großen Städte. Städte sind für Menschen populär auf Grund eines leichten Zugangs zu Jobs, Bildung, Unterhaltungsmöglichkeiten und medizinischer Versorgung. Sie sind Zentren der ökonomischen und politischen Macht und der sozialen Interaktion sowie der Produktion und des Konsums. Bis 2030 werden 60% der Weltbevölkerung oder knapp 5 Milliarden Menschen in Städten und ihren Vororten leben. Es gibt mehr als 300 Städte mit mehr als einer Million Einwohnern und 29 Megacitys mit über zehn Millionen Einwohnern, von denen 22 in Entwicklungsländern liegen. Die Urbanisierung hat aber auch ihre Kehrseiten: Der Pro-Kopf-Verbrauch an Energie und Rohstoffen und auch der entsprechende Abfall ist in der Stadt höher als auf dem Land. Mit dem Wohlstand aufstrebender Bevölkerungsschichten wächst auch der Wunsch nach Ruhe, weit weg vom Lärm und Trubel der Großstadt, so dass sich um die Städte Vororte bilden und durch Zersiedelung sich der Landverbrauch noch einmal intensiviert. Auch das notwendige Pendeln zum Arbeitsort ist ökologisch gesehen nachteilig.

Die gegenwärtig industriell betriebene Landwirtschaft hat ihre Schattenseiten. Das aktuelle Agrarsystem erzeugt Überschüsse, schädigt aber auch Böden, das Grundwasser und tötet nützliche Insekten und Pflanzen durch den Einsatz von giftigen Pestiziden und Herbiziden und schädigt dabei die Biodiversität und viele Ökosysteme mitsamt ihrer Beiträge für Natur und Umwelt und hat nicht zuletzt einen negativen Einfluss auf das Klima. Die industrielle Landwirtschaft produziert mit ihrem hohen Düngerverbrauch, dem Einbringen von toxischen Chemikalien und dem dabei unbeabsichtigten Töten von Milliarden von Insekten, Tieren und Pflanzen etwa 28% aller Treibhausgasemissionen. Die Zerstörung der Artenvielfalt und das Verschwinden von Arten hängt auch mit der Rodung von Wäldern und der Entwässerung von Feuchtgebieten zusammen. Die Landwirtschaft ist der Sektor, der sich aktiv ändern muss, wenn wir aus der aktuellen Umwelt- und Klimakrise herauskommen wollen. Kleinbauern in Entwicklungsländern werden zudem oft gegen ihren Willen von Investoren, Konzernen und Regierungen enteignet und große Agrarkonzerne übernehmen ihr Land und bauen dort bevorzugt große Monokulturen an, um die Arbeitsproduktivität der Landwirte und die Rendite der Saatgutanbieter zu erhöhen, was die Anwendung von vielen toxischen Chemikalien notwendig macht, um die Hochleistungskulturen gegen sich ständig anpassende Insekten oder Pflanzen zu schützen. Auch nicht nachhaltig ist der steigende Fleischanteil in der Ernährung. Fleisch erfordert in der Produktionskette einen bedeutend größeren Einsatz von Wasser und Energie im Vergleich zu Pflanzen oder Insekten mit vergleichbarem Nährwertgehalt.

Der von der WTO geförderte Freihandel sieht nationale Vorschriften in den einzelnen Ländern zum Schutz der Umwelt als Handelshemmnisse an. Die Handelsagenda wird von transnationalen großen Konzernen diktiert, denen es nur um Expansion von Produktion und Konsum und Umsatzwachstum geht. Ein Land, das sich zu wehren versucht, wird entweder gezwungen seine Gesetze zu ändern oder muss einseitig Handelssanktionen erdulden. In Europa gilt das Vorsorgeprinzip. Für die WTO müssen dagegen die Kläger einen Schaden beweisen, anstatt von der Industrie zu verlangen, ihrerseits die Unschädlichkeit nachzuweisen. Folge dieser Handelspraktiken und des Freihandels sind auch Export von Industrieproduktion ehemaliger Industrieländer in Schwellenländer, wo die Arbeitskräfte billig, die Steuern gering und die Regierungen nachgiebig sind. Per Definition hilft der Freihandel den Starken und schadet den Schwachen. Internationaler Handel ist gut, aber führt auch zur rascheren Niederlage schwächerer Mitspieler und hat negative Auswirkungen auf Gesellschaft, Umwelt und das Angebot öffentlicher Güter. Ökologische Fußabdrücke werden gerne in den Süden exportiert. 30% aller Gefährdungen von biologischen Arten sind auf den internationalen Handel zurückzuführen.

Die großen monotheistischen Religionen wie das Judentum, das Christentum und der Islam rechtfertigen mit ihrem Dogma die Vorherrschaft des Menschen über die Natur und deren Urbarmachung mit fehlendem Respekt vor der Größe der planetarischen Vielfalt und der wirkenden Zusammenhänge zwischen den Arten. Der Satz „Seid fruchtbar und mehret euch, füllet die Erde und machet sie euch untertan“ kann im Fall einer vollen Welt nicht mehr gelten. Diese Doktrin hat ihre speziellen Nebenwirkungen wie ständige militärische Konflikte, das Entstehen politisch-religiöser Eliten, die Unterdrückung von Frauen sowie Intellektuellen und bedeutet im Kern eine lernunfähige Dogmatik. Der Ursprung der großen Religionen liegt ohne Zweifel in der leeren Welt.

Es ist nicht akzeptabel, dass Selbstsucht und Gier weiterhin positive soziale Wertschätzung als angebliche Triebkräfte des Fortschritts genießen. Fortschritt kann sehr wohl auch in einer Zivilisation gedeihen, die Mutter Erde und künftigen Generationen Solidarität, Demut und Respekt entgegenbringt.

Der Film „System Error“ von Florian Opitz

Der Club of Rome hatte bereits 1972 eindrücklich auf die Grenzen des Wachstums hingewiesen: Auf einem endlichen Planeten kann man nicht unendlich wachsen. Haben die Thesen von Karl Marx heute noch Bestand? Der Kapitalismus – so hatte es Karl Marx vorausgesagt – bestimme alle Lebensbereiche und diktiere ewigen Wachstumszwang. Umweltzerstörung, Klimawandel, das Schwinden von Ressourcen – der zweifache Grimme-Preisträger Florian Opitz hinterfragt unser krisenanfälliges, kapitalistisches System, das Wirtschaftswachstum für ein Naturgesetz hält, und sucht nach Alternativen. „System Error” erhielt den Preis „STZ Leserjury” der Stuttgarter Zeitung beim Deutschen Dokumentarfilmpreis 2018 (Text: Lichtburg Wetter (Ruhr)).

Es ist verrückt: Wir sehen die schwindenden Regenwälder und Gletscher, wissen um die Endlichkeit der Natur und sind dennoch wie besessen vom Wirtschaftswachstum. Warum treiben wir das Wachstum immer weiter, obwohl wir wissen, dass man auf unserem endlichen Planeten nicht unendlich wachsen kann? „System Error“ sucht Antworten auf diesen großen Widerspruch unserer Zeit und macht begreifbar, warum trotzdem alles so weiter geht wie gehabt. Der Film zeigt die Welt aus der Perspektive von Menschen, die von den Möglichkeiten des Kapitalismus fasziniert sind. Ob europäische Finanzstrategen, amerikanische Hedgefondsmanager oder brasilianische Fleischproduzenten: Eine Welt ohne eine expandierende Wirtschaft können, dürfen oder wollen sie sich gar nicht erst vorstellen. „System Error“ beleuchtet bisher häufig verborgen gebliebene Zusammenhänge und legt die selbstzerstörerischen Zwänge des Systems offen – einem System, an dem wir alle teilhaben, als Beschäftigte, Anleger oder Konsumenten. Denn der Kapitalismus durchdringt unaufhörlich immer mehr Lebensbereiche, verschlingt die Natur und gräbt sich am Ende selbst das Wasser ab – so wie es Karl Marx schon vor 150 Jahren prophezeit hat. Die Frage ist: Sind wir tatsächlich bereit für den Kapitalismus alles zu opfern? (Text: Verleih)

Regisseur Florian Opitz setzt sich in seiner neuen Dokumentation mit dem Kapitalismus auseinander, der heute, wie es Karl Marx vorausgesagt hat, alle Lebensbereiche bestimmt und ewigen Wachstumszwang diktiert. Alle sehen, dass die Ressourcen der Erde schwinden und die Umwelt immer mehr kaputtgeht, aber trotzdem ist der Widerstand gegen die kapitalistische Art der Warenproduktion gering. In „System Error“ zeigt Opitz die Perspektive derjenigen Menschen, die den Kapitalismus bestimmen – und die ihn kritisieren. Er interviewt unter anderem: den Hedgefonds-Manager und ehemaligen Trump-Berater Anthony Scaramucci, den Chef von Airbus in China Eric Chen, den ehemaligen Hauptgeschäftsführer des Bundesverband der Deutschen Industrie Markus Kerber, den größten Hühnerproduzenten Brasiliens Carlos Capeletti und den Ökonom und Wachstumskritiker Tim Jackson (Text: Filmstarts.de).

Am Mittwoch, dem 12.09.2018, lief in der Lichtburg in Wetter (Ruhr) der Film „System Error“. Der Film von Florian Opitz handelte von verschiedenen Charakteren eher schlichteren Gemüts, die alle dem Irrglauben unbegrenzten Wachstums anhängen. Wachstum gab es schon vor 5500 Jahren und wird es, so wird prophezeit, noch in 5500 Jahren geben. Man betrachte allein die vor uns stehenden Aufgaben wie die Bekämpfung von Krankheiten, die ewige Jugend oder die Eroberung des Weltalls. Schenkt man den Protagonisten des Films Glauben, scheint es einen Klimawandel nicht zu geben und alle 1.4 Milliarden Chinesen warten scheinbar nur darauf endlich mit einem Flugzeug nach Europa zu jetten, um unsere Kulturdenkmäler abzulichten. Ja, vor uns liegt eine rosige Zukunft mit viel Rendite und mächtig viel Grund zur Hoffnung! Mal ehrlich, wir stehen nicht auf der Seite der Wachstumsverächter (man ersetze dabei nur finanzielles Wachstum durch die neutraleren Begriffe gesellschaftliche Entwicklung und technologischer Fortschritt, was per se erstmal nichts schlechtes darstellt, aber möglichst Hand in Hand gehen sollte) und zelebrieren auch nicht den baldigen Weltuntergang, aber in der momentanen Form, in der mittelmäßig begabte Menschen unseren Planeten übernehmen wollen, kann es nicht weitergehen. Natürlich, ohne Markt geht es nicht. Ein Markt kann unterschiedlichste Güter, so zumindest in der Theorie, schnell und effizient bewerten. Knappe Güter werden entsprechend höher gehandelt, je nach Angebot und Nachfrage und Zahlungsbereitschaft. Da ethische oder ökologische Aspekte meist außen vor bleiben, ist dabei aber auch und gerade der mündige Konsument gefragt, der in der Lage ist zwischen „Gut“ und „Böse“ zu unterscheiden. Hier kann die Gemeinwohl-Ökonomie eine Alternative bieten, denn es werden gerade alle möglichen Handlungsfelder im Wirtschaftskreislauf beleuchtet wie z.B. „Wie gehe ich mit knappen Ressourcen um?“, „Wie stehe ich in Bezug auf Nachhaltigkeit?“, „Werden die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt?“ und könnten, so die Vision der Gemeinwohl-Ökonomie, jedem Konsumenten in Form eines Labels auf dem Produkt angezeigt werden. Es gibt schon so viele wirkungsvolle Beispiele wie „Biosiegel“, „Fairtrade“, etc., warum nicht ein Siegel für Gemeinwohl? Für die Umsetzung unter Anderem dieses Konzepts arbeitet die Gemeinwohl-Ökonomie. Dem Irrglauben eines grenzenlosen Wachstums durch unersättliche Finanzoptimierer, denen es nur um Rendite geht, egal wie, egal wo, und umtriebiger Unternehmer, die noch im schmutzigsten Gewerbe Potential wittern, um andere und die Natur grenzenlos auszubeuten, muss ein Ende gesetzt werden. Wir alle sind gefragt. Wir dürfen den Finanzjongleuren nicht einfach das Feld überlassen. Es muss etwas geschehen…und zwar schnell! Der Film bringt auf den Punkt, was wir nicht gewagt hätten, auch nur zu denken oder anzunehmen!

Die Philosophie der Gemeinwohl-Ökonomie kritisch hinterfragt!

Kürzlich hat sich die Gruppe Uni50plus interessierter und kritischer Geister jenseits der Fünfzig im Rahmen des VHS-Kurses Uni50+ in Hagen (Westfalen) unter Leitung von Dr. Fritz Peter Helms kritisch mit den Thesen von Christian Felber auseinandergesetzt. Die wichtigsten Thesen sind im Download auf der Webseite der Gruppe herunterladbar. Anfang dieses Jahres wurden auch zwei Mitglieder der Regionalgruppe Ennepe, Ruhr & Wupper eingeladen, um über die Gemeinwohl-Ökonomie und die Thesen von Christian Felber zu diskutieren. In diesem Rahmen wurde durch den Koordinator der Regionalgruppe Rolf Weber ein kurzer Abriss der GWÖ gegeben mit einem kleinen Beamer-Vortrag. Im Folgenden sollen die wichtigsten Punkte der kritischen Auseinandersetzung kurz auch von uns kritisch zurückreflektiert werden, speziell vom Verfasser Olaf Kintzel. Es muss dazu gesagt werden, dass die Thesen von Christian Felber nicht in Stein gemeißelt sind und ständig auch von Mitgliedern der Bewegung der Gemeinwohl-Ökonomie hinterfragt und ergänzt bzw. verbessert werden. Man kann die Inhalte der Publikationen von Christian Felber eher als Denkanstoß für mögliche Lösungen ansehen, die zu eigenem kritischen Denken und hoffentlich auch zu eigenem aktiven Tun einladen wollen.

Die elementaren Grundwerte der Gemeinwohl-Ökonomie und die Realität!

Zunächst einmal wird von der Gruppe Uni50+ anerkannt, dass die elementaren Werte der Gemeinwohl-Ökonomie wie soziale Gerechtigkeit, Schutz der Umwelt, demokratische Mitbestimmung, ethisches Handeln, Nachhaltigkeit, Solidarität und Kooperation erstrebenswert sind. Momentan sehen wir in der Welt wieder einen Rückschritt im Streben nach diesen Werten. Zurzeit beobachten wir in vielen gerade auch entwickelten Ländern eher das Aufflammen von sozialer Ungleichheit, Raubbau an der Natur, Meinungspolarität, Protektionismus, Eigennutzstreben und hemmungsloser Konkurrenz. Dies ist nicht zuletzt auch dem Aufkommen der sozialen Medien und der damit verbundenen leichten Meinungsäußerung geschuldet. Dazu werden für ungenügend gebildete Menschen die Hürden extrem erniedrigt vorschnell und ohne viel Nachdenken ihre Meinung in den öffentlichen Raum zu stellen. Dies kann auch dazu führen, dass eine Gesellschaft polarisiert, verroht und gespalten werden kann. Vielfach werden dabei eher primitive Antriebe im Menschen angesprochen. Die negativen Begleiterscheinungen dieses gesellschaftlichen Meinungsbildungs-Prozesses sind oft Narzissmus, also das Aufgehen in der eigenen Filter-Blase gepaart mit Intoleranz für Andersdenkende oder -fühlende. Menschen reagieren dadurch eher kurzsichtig, sind auf schnelle Bedürfnisbefriedigung aus, und ein Großteil der Menschen dreht sich den ganzen Tag um sich selbst. Es wird immer geschaut, wie man in den Augen der Anderen ankommt. Bereitschaft zum geistigen Tiefgang oder Bereitschaft und mentale Stärke sich gegen die herrschende Mehrheitsmeinung zu positionieren wird nicht mehr aufgebracht. Man schwimmt lieber im Strom der Einfältigen mit und geht lieber in der Illusion einer virtuellen Größe und Wichtigkeit auf, die durch möglichst viele Likes und Follower ständig bestätigt werden muss.

Konkurrenz oder Kooperation?

Christian Felber wird dafür kritisiert, dass er eine Utopie einer Gesellschaft an die Wand malt ohne jede empirische oder wissenschaftliche Untermauerung. Er behauptet, dass eine Gesellschaft eher durch Kooperation als durch Konkurrenz weiterkommt. Ist das tatsächlich so? Eigentlich, wenn man es vom Grunde her betrachtet, ist jeder Mensch auf der Suche nach Anerkennung. Die einzige Frage ist nur, wie man Anerkennung bekommt. Im herrschenden Kapitalismus wird Anerkennung meist über Macht und Reputation gemessen. Dabei geht es im Kern oft darum möglichst wohlhabend oder bedeutend zu sein oder wenigstens so zu erscheinen. Andererseits kann man aber auch Anerkennung bekommen, indem wir kooperativ sind und uns gegenseitig untereinander stützen. Wichtige Werte dabei sind Empathie, Verständnis, Fairness und Ehrlichkeit. Menschen sind verschieden und jeder hat positive wie negative Eigenschaften. Indem jeder seine individuellen Stärken in eine Gemeinschaft einbringt, kann eine Gemeinschaft gedeihen.

Macht als Form der Anerkennung?

Leider wird Anerkennung in unserem momentanen Gesellschaftssystem oft durch Macht definiert. Menschen, die auf Grund von Krankheit oder unglücklicher Lebensschicksale nicht in der Lage sind Macht zu erlangen, sind oft auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen. In unserer Gesellschaft sehen wir solche Menschen als Schmarotzer, Sozialabzocker oder Faulenzer an. Wir haben unser Mitgefühl verloren. Dass uns das Erlangen von Macht als Gesellschaft nicht groß weiterbringt, sollte uns endlich aufgehen, denn leider ist Macht sehr ungleich verteilt und Menschen, die Macht besitzen, können eben andere Menschen, die ihnen gefährlich werden oder an ihrer Macht teilhaben wollen, über ihre Macht beschränken und im Extremfall sogar mundtot machen. Kein Mensch, der Macht hat, käme von sich aus auf die Idee, seine Macht mit anderen zu teilen oder sie abzugeben.

Angst und Siegeswillen als Motivationen im Kapitalismus?

Christian Felber sieht zwei wesentliche Motivationen am Werk: Zum einen die Angst, selbst zu den Machtlosen zu gehören und in unserer Gesellschaft nicht geachtet zu werden und zum zweiten der unbändige Wille siegen zu wollen, also andere Menschen ihrer Macht zu berauben und diese Macht für sich selbst zu beanspruchen. Beides spornt nach der Logik des Kapitalismus Menschen dazu an, sich anzustrengen und sich für die Belange einer Gesellschaft einzusetzen. Doch worin liegt eigentlich der gesellschaftliche Zugewinn? Im Kapitalismus wird Macht meist über Besitz gemessen, am einfachsten über den Besitz von möglichst viel Geld. Geld kann man aber nun einmal auf sehr unterschiedliche Art und Weise verdienen. Doch ist damit nicht gesagt, dass die Aktivität, die zu viel Geld geführt hatte, auch gesellschaftlich relevant war oder den edlen Werten der Menschlichkeit genügen würde. Der Kapitalismus motiviert Menschen nämlich eher dazu möglichst einfach und schnell zu Geld zu kommen. Wenn im Besitz von Geld der allein gültige Gral liegt, ist es verständlich, dass ein rationaler Mensch von sich aus nicht auf die Idee käme, dafür mehr zu tun als nötig und würde für dieses Ziel durchaus betrügen, lügen oder täuschen, wenn es nur dem eigenen Vorteil dienlich wäre. Es geht also darum anständig Geld zu verdienen, im übertragenen Sinne.

Was sind die Folgen?

Hinzu kommt der volkswirtschaftliche Effekt. Das Erlangen von Geld ist nämlich immer mit mindestens zwei Nachteilen verbunden. Zum einen hindert derjenige, der durch seine Tätigkeit Geld verdient, dass das Geld in andere Anwendungen fließt. Zum anderen nimmt der Reiche durch das Ausgeben des verdienten Geldes und seinen eigenen nachgelagerten Konsum anderen Menschen wiederum Konsummöglichkeiten fort, da im Allgemeinen Güter knapp sind und eben nicht für alle reichen. Derjenige ist dann im Vorteil, der über mehr Geld verfügt. Kurz gefasst fördert der Kapitalismus die niedersten Antriebe im Menschen und ist generell eher weniger dazu geeignet die allgemeine Wohlfahrt zu erhöhen. Warum wird von der Politik aber immer wieder der heilige Gral von Wachstum und abermals Wachstum vorgebetet und als Maxime allen Strebens ausgerufen? Weil auch Politiker ihre Macht erhalten wollen und wissen, dass dies nur geht, indem sie die Macht der herrschenden Elite erhalten und dies nur geht, indem sie den Rest der Menschen für blöd verkaufen. Es ist auch so, dass die Meinungsbildungsprozesse in einer über Macht regierten Gesellschaftsordnung einfacher sind, während die notwendigen Diskussionen in von Konsens geprägten Gesellschaften Zeit und Kraft kosten, aber für mehr Menschen von Nutzen sind als bloß der Machtelite. Man betrachte auch in diesem Zusammenhang das im Umfeld der Gemeinwohl-Ökonomie praktizierte „Systemische Kondensieren“, bei dem man seine persönlichen Widerstände zur einem Sachverhalt artikuliert, wobei man diese auch mit mehr als nur einer Stimme anzeigen kann. Dadurch werden suboptimale Lösungen eher vermieden.

Die Gemeinwohl-Ökonomie ist allgemein konsensfähig!

Aus der Sicht des Autors ist das Gute an der Gemeinwohl-Ökonomie, dass dieser Ansatz allgemein konsensfähig ist. Es geht nicht darum, das momentane Wirtschaftssystem durch eine Art von Revolution umzuwälzen. Dies ist also fundamental anders zu Ansätzen, wie es in repressiven kommunistischen oder theokratischen Gesellschaften der Fall ist. Dort wird der notwendige Sinneswandel mit Gewalt allen Andersdenkenden aufgezwungen. Stattdessen handelt es sich bei der Gemeinwohl-Ökonomie eher um eine Art „weichen Kapitalismus/Sozialismus“, bei dem auf einen allmählichen Bewusstseins- oder Sinneswandel gesetzt wird, durch den all die Irrungen und verfestigten Meinungen, die wir bisher in unseren Familien, unseren Schulen, unseren Universitäten oder den Medien vermittelt bekommen haben, langsam und allmählich hinterfragt werden und auf den Prüfstand kommen. Bei dem einen geht das schneller. Bei dem anderen dauert es länger. Es geht auch auf keinen Fall darum, Besitz oder Eigentumsrechte in Frage zu stellen. Das, was sich jemand durch Leistung meint redlich erworben zu haben, soll also niemandem weggenommen werden. Das Konsensfähige an der Gemeinwohl-Ökonomie ist doch,  dass eigentlich jeden Klardenkenden das Gefühl beschleichen sollte, dass das Wesen unseres Wirtschaftsmodells nicht ganz stimmig ist. Die Gemeinwohl-Ökonomie baut auf gesundem Menschenverstand auf und jeder, der wirtschaftet, kann seinen Teil dazu beitragen, die Welt besser zu machen. Indem wir Anderen, wie z.B. der Natur oder Mitwelt, etwas mehr geben oder mehr zugestehen, ohne uns selbst dabei zu sehr den Anreiz zu nehmen mehr Leistung erbringen zu wollen als andere. Leistung muss sich lohnen. Denn allein als „Held der Arbeit“ zu gelten, wie so oft im „real-existierenden“ Sozialismus als eine Form von Belohnung oder Anerkennung, dafür kann man sich nichts kaufen. Man will einfach einen „Zehner“ mit nach Hause nehmen und sich dafür etwas erwerben, was einem persönlich von Wert ist. Aber mal ehrlich: Ist es angemessen, dass ein gutbezahlter Manager eines Unternehmens heutzutage mehr als das Hundertfache von dem verdient, was ein einfacher Facharbeiter verdient? Hier scheinen die Relationen in unserer Gesellschaft durcheinander geraten zu sein.

Was ist die Alternative?

Unser Wirtschaftssystem erhält seine Dynamik über das Eingehen von Schulden. Rein praktisch gesehen sind Schulden nur ein Saldoposten in einer Bilanz, entfalten aber in einer vernetzten Welt eine verhängnisvolle Wirkung. Denn langfristig kennen Schulden nur einen Trend nach oben und viele betroffene Staaten laufen Gefahr Kredite nicht mehr bedienen zu können. Daher sind höchstwahrscheinlich eine globale Währungsreform oder ein globaler Schuldenschnitt in nicht allzu ferner Zukunft unausweichlich. Dann werden wir an einen Punkt kommen, an dem wir uns fragen werden: „Gut, wir haben uns geirrt. Lasst uns noch einmal von vorne anfangen, aber machen wir es dieses Mal richtig!“. Das Problem dabei ist, dass wir nur einen Planeten haben, auf dem wir leben. Wir haben keine zweite Chance. Wir können nicht einfach wieder bei null anfangen. Der Regenwald, der abgeholzt wurde, bleibt abgeholzt. Der Klimawandel, der wirkt, lässt sich nicht so einfach wieder rückgängig machen. Daher müssen wir frühzeitig handeln, bevor es für uns als gesamte Menschheit zu spät ist. Wer meint, dass er nichts dazu beitragen kann, hat unrecht. Die Gemeinwohl-Ökonomie ist eine Alternative, die zumindest einen Lichtschimmer am anderen Ende des Tunnels erkennen lässt. Es ist zwar so, als würde man auf hoher See Bohlen und Planken in sein Boot einziehen, damit kein Wasser eindringt, aber welche weiteren belastbaren Möglichkeiten gibt es noch? Einen sicheren Hafen zu finden wird mit fortschreitender Zeit wohl immer unwahrscheinlicher.

Endlich passiert was!

Mit FridaysForFuture, initiiert durch die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg, ist eine Welle an Empörung, Veränderungswillen und Mut zur Alternative in Bewegung geraten und in die Gesellschaft übergeschwappt. Seit nun schon mehreren Wochen wird an vielen deutschen und europäischen Schulen jeweils am Freitag die Schulpflicht bestreikt. Für den Klimaschutz. Die Aufruhr unter der Jugend ist beinahe allgegenwärtig und deutlich zu spüren als der nächsten Generation, die in Zukunft die Entscheidungen treffen wird. Das reicht aber nicht. Auch die Politik mit Entscheidungsträgern von heute muss das Problem endlich anpacken. Verstanden haben sie es wohl, aber die Politik ist träge. Politiker wollen wiedergewählt werden und schauen dabei auch der Bevölkerung allzu gerne auf den Mund. Doch scheuen sie auch schwierige Entscheidungen, die am Ende Unmut in der Bevölkerung auslösen könnten. Es ist aber fraglich wieviel Kontinuität wir uns in einer Zeit des Wandels und der Veränderung überhaupt leisten können? Ohne eine tiefgreifende Veränderung unseres Systems wird uns als Menschheit schwierige Zeiten erwarten. Muss es so weit kommen? Vielleicht meinen wir, das Ganze sei unvermeidlich und wir könnten als Einzelne nichts gegen die Übermacht der Großkonzerne oder die momentane Politik tun? Doch, jeder kann bei sich im Kleinen anfangen, bei seinem Lebensstil, seiner Art, wie er wohnt, sich ernährt, sich kleidet oder reist. Keiner kehrt gerne vor der eigenen Haustür, aber wenn wir wirklich etwas verändern wollen, dann sollten wir bei uns selbst anfangen und eigene Opfer bringen. Jeder kann was tun. Es muss nicht gleich der kühne Schritt sein, eine Weltrevolution zu starten.

Es ist offensichtlich. Unser westlicher Lebensstil ist nicht nachhaltig. Wir sind wahre CO2-Schleudern. Jeder Mensch verursacht jährlich im Schnitt 12 Tonnen CO2. Um die Erderwärmung auf 2o-Grad zu begrenzen, darf jeder aber nur noch knapp 1 Tonne CO2 verbrauchen. Um regenerative Energieträger zu fördern, kann man z.B. den Energieversorger wechseln. Viele große Energieunternehmen produzieren mit einem Mix an erneuerbarer Energie, Kohle und Erdgas. Auf den Nachhaltigkeitsplattformen Utopia und Robin Wood kann man Alternativen finden, die nicht nur billiger sind, sondern Ökostrom nachhaltig fördern. Wusstet ihr, dass jede Suche bei Google fast 0.2 Gramm CO2 in die Luft bläst? Nach einer Studie des Bundesamtes für Wirtschaft und Energie wird der Energieverbrauch für Server bis 2025 sogar noch einmal um knapp 60% steigen. Ein nachhaltiger E-Mail-Provider ist z.B. posteo.de von einem Berliner StartUp, das seine Server mit sauberer Energie betreibt und seine Finanztransaktionen ausschließlich über Umweltbanken abwickelt, und das ganz ohne jede Werbung zu schalten. Umweltbanken wie die GLS-Bank, die EthikBank oder UmweltBank fördern zudem ökologische und ethisch vertretbare Projekte mit ihren Erträgen (ohne große Boni für skrupellose Banker auszugeben). Zwar werden auch dort in der Regel Kontoführungsgebühren verlangt, aber z.B. bei der GLS-Bank ist man bis zum Alter von 28 Jahren davon befreit.

Wasser ist knapp. Viele Kleidungsstücke oder Lebensmittel brauchen viel Wasser in ihrer Produktionskette. Dieses sogenannte virtuelle Wasser ist dann ein Problem, wenn es in der Region ohnehin wenig verfügbares Wasser gibt. Auf Vdg.durstige-gueter.de/produktgalerie.html kann jeder nachsehen, wie viel Wasser für die Herstellung bestimmer Produkte gebraucht wird (siehe auch waterfoodprint.org). Wer CO2 beim Transport von Mehrwegflaschen oder der Erzeugung von Einwegerzeugnissen aus Plastik vermeiden will, kann versuchen größtenteils Leitungswasser zu nutzen, wie z.B. für den Kaffee, den Tee oder beim Kochen. Fleisch ist besonders umweltschädlich, da es in der Produktion über die Sonne, die Pflanzen, das Wasser und schließlich über das Tier selbst energietechnisch besonders ineffizient ist. Auch beim Tierschutz wird häufig gespart. Nicht jeder sollte aber gleich zum Veganer werden. Auch der Verzicht auf Fleisch ist nicht die ultimative Lösung. Solange die Produktion von Fleisch in ihrer gesamten Energiebilanz immer noch so billig ist, wird ohnehin weiter produziert und Fleisch in unseren Supermärkten stehen oder bei Discountern verramscht. Eine Gruppe internationaler Wissenschaftler hat in einer aktuellen Forschungsarbeit die „planetary health diet“ erstellt mit einem Ernährungsplan, der einen todsicher in den planetarischen Grenzen hält (hoffentlich nicht wörtlich!). Fleisch darf auch sein, aber nicht mehr als durchschnittlich 43 Gramm pro Tag, was ungefähr eineinhalb Mettbrötchen sind. Wer meint, dass Vegan besser für die Umwelt sei, dem sei gesagt, dass Soja, Mais oder Palmöl auf riesigen Plantagen angebaut werden, für die in Indonesien oder Brasilien viel Regenwald zerstört wird. Zwar landen davon nur 1% auf unseren Tellern und werden zu Tofu- und Sojamilchprodukten verarbeitet, während der größere Rest als Tierfutter oder für die Herstellung von Bio-Treibstoffen genutzt wird, aber auch hier gibt es Alternativen. Pflanzliche Eiweiße stecken auch in Linsen, Bohnen oder Hafer. Das deutsche StartUp Luve verarbeitet beispielsweise die heimische Süßlupine zu Joghurt, Frischkäse, Milch und Eis (Rezepte ohne Soja gibt es auf ProVeg). Wer Palmöl vermeiden will, sollte einen Blick auf die Zutatenliste werfen. Allerdings verursacht die Produktion von alternativem Kokos-, Soja-, Sonnenblumen- oder Rapsöl noch mehr CO2, weil diese Pflanzen mehr Anbaufläche benötigen. Auch regionale Produkte müssen nicht gleich umweltfreundlich sein. So muss ein Apfel, der im Herbst geerntet, aber im Frühjahr angeboten wird, die ganze Zeit bis dahin kühl gehalten werden. Da kann sogar ein Apfel aus Neuseeland energietechnisch besser da stehen, trotz des Transports. Es ist aber auf jeden Fall sinnvoll, saisonale Lebensmittel zu verwenden. So wächst die Pastinake im Winter und Heidelbeeren wachsen von Juni bis September, auch wenn beide über das gesamte Jahr erhältlich sind. Muss es einmal außerhalb der heimischen Erntezeit sein, dann sollten es wenigsten Bio-zertifizierte Produkte sein. Informationen über Bio-Siegel erhält man übrigens über die App „Siegel-Check“ vom Nabu. Einfach Logo abfotografieren und nachschauen. Wichtig bei der Entscheidung der Verbraucher ist auch die richtige Lagerung der Lebensmittel (siehe mehrwert.nrw/richtiglagern), damit nicht so viel weggeworfen werden muss. Restekochen einfach gemacht geht mit der App „Zu gut für die Tonne!„. Mit der App „ResQ Club“ oder „To Good To Go“ kann man übrig gebliebenes Essen günstig bei Restaurants oder Bäckereien abholen.

Bei Kleidung muss es nicht immer so viel sein. Besser ist länger tragen, die Klamotten schonen, indem man sie nicht zu oft heiß wäscht oder schleudert. Kleiderspenden werden übrigens größtenteils entsorgt und verbessern nicht etwa die Energiebilanz. Besser ist mit wohindamit.org Projekte in der Gegend zu fördern. Konsum, nur um sich besser zu fühlen oder besser vor anderen dazustehen, ist für den Planeten eher schädlich. Wenn das nur einer macht, o.k. Statuswettbewerb tritt aber augenblicklich eine Lawine an Nachahmern los, die ebenso so toll dastehen wollen. Also mit Köpfchen kaufen und nicht mit dem Bauch! Besser den Ball flach halten. Blogs wie Justinekeptcalmundwentvegan.com geben Tipps zu Labeln wie Bio-Label oder nachhaltiger Produktion. Wer Nachhaltigkeit fördern will, sollte nicht gleich das erstbeste und billigste Stück kaufen bei der Kette von nebenan. SecondHand ist auch eine gute Alternative. Nach einer Studie von Greenpeace kaufen wir in Deutschland im Schnitt 60 Kleidungsstücke im Jahr, die wir nur halb so lange tragen wie vor 15 Jahren. Das meiste wie z.B. Schuhe wird gar nicht erst getragen oder verschwindet bei der nächsten Modewelle schon wieder im Kleider-Container.

Die Vermeidung von Plastikmüll ist besonders wichtig. Öl ist ein wichtiger Rohstoff, aber in Form von Plastik ist es gefährlich für die Umwelt und auch schwer zu entsorgen. Nach einer Rechnung vom Umweltbundesamt aus 2018 verbraucht jede Person in Deutschland im Schnitt mehr als 220 Kilo Verpackungsmüll. Es geht auch anders: Glas-, statt Plastikflaschen kaufen, lieber Mehrweg statt Einweg, Plastiktüten durch Stoffbeutel ersetzen. Letzteres verursacht zwar erst einmal mehr CO2, lohnt sich aber nach einer Untersuchung der Deutschen Umwelthilfe schon nach der zwanzigsten Nutzung. Die App „app.zerowastehome.com“ findet verpackungsfreie Läden in deiner Nähe. Am besten möglichst Produkte kaufen ohne viel Plastikmüll. Obst und Gemüse kann man z.B. in Bio- oder Gemüseläden kaufen, oder auch auf dem Wochenmarkt. Chemische Putzmittel sind auch schädlich. Putzmittel oder auch Kosmetik kann man nämlich mit etwas mehr Aufwand auch selbst herstellen, garantiert ohne Nebenwirkungen (siehe KrautKulturKramps.de mit Seminaren für hilfreiche Tipps!).  Es gibt Waschbeutel, die Fasern aus Synthetik-Materialien auffangen, bevor sie beim Waschgang in die Umwelt gelangen. Bücher wie „Glücklich leben ohne Müll“ von Bea Johnson, „Wie wir Plastik vermeiden“ von Will McCallum, „Alles Verwenden. Nichts verschwenden“ von Antonia Kögl und Benedikt Steinle oder „Zero Waste: Weniger Müll ist das neue Grün“ von Shia Su können wertvolle Tipps geben (Suche im Internet erlaubt! Kaufen besser im stationären Buchhandel, der mit 40% Preismarge sinnvoll die Innenstadt belebt! Ausprobieren!). Gerade was Kosmetik angeht, gelangt viel Kunststoff in die Umwelt. Laut Umweltbundesamt werden in Deutschland rund 500 Tonnen Kunststoff in Pflegeprodukten verarbeitet, meist als Schleifmittel in Peelings oder Zahnpasta oder Mikropartikel, die in Shampoos, Cremes oder Duschgels Verwendung finden. Durch den Abfluss gelangt das Mikroplastik schließlich ins Meer und postwendend wieder auf unserem Teller. Guten Appetit! Zertifizierte Naturkosmetik wird über die Siegel „BDIH-Standard“, „Nature“ oder „Natural Cosmetic Standard (NCS)“ ausgewiesen. Also ruhig einmal beim nächsten Einkauf auf die Verpackung schauen.

Auch was den Einkauf angeht, stellt sich die Frage: Online oder in die Stadt? Da bringen Verbrauchsstudien wenig. Ich persönlich mag es die Innenstadt zu besuchen, weil das Angebot dort riesig ist und man alles gleich anprobieren kann, Schnäppchen findet und nicht etwa online wieder alles zurückschicken muss, wenn’s nicht passt, was den Großteil des CO2 verbraucht. Außerdem bleibt die Innenstadt und der Einzelhandel am Leben! Wer CO2 beim Transport sparen will, der fährt halt eben mit dem ÖPNV. Auch bei Elektronik muss es nicht immer das neueste Produkt sein. Deutsche nutzen nach dem Umweltbundesamt ihr Smartphone meist nur 2.5 Jahre. Wichtig dabei ist, die Produkte nach dem Gebrauch, wenn sie nicht mehr reparierbar sind, zum lokalen Wertstoffhof zu bringen oder bei Elektrohändlern oder im Baumarkt in die Recycling-Tonne zu geben. Siegel wie der „Blaue Engel“ oder das „Europäische Umweltzeichen“ zeigen an, dass ein Produkt langlebig, leicht zu reparieren und gut zu recyclen ist. Großgeräte sollten mindestens die Energieeffizienzklasse A besitzen. Bei Handys sollten die Akkus leicht austauschbar sein. Am besten sind gebrauchte und für den Weitergebrauch entsprechend aufbereitete Geräte („refurbished“).

In unserer globalen Gesellschaft ist Mobilität sehr wichtig. Sei es im Beruf, in der Freizeit oder beim Reisen. Laut der Initiative Germanwatch ist ein Flug nach Teneriffa so schädlich wie ein Jahr mit dem Auto zu fahren. Um die Umwelt zu schonen, sollten wir also so wenig wie möglich fliegen. In Europa sind die meisten Ziele mit Bus und Bahn beinahe ebenso gut erreichbar. Einfachheit und Komfort dürfen kein Argument sein. Wer trotzdem fliegt oder fliegen muss, kann nachher CO2-Kompensation betreiben. Anbieter wie atmosfair, Klima-Kollekte oder Primaklima fördern mit dem Geld regionale Projekte für den Ausbau von Solarenergie oder nachhaltigen Öfen in Entwicklungs- und Schwellenländern. Ein Freibrief für die Verursachung von zu viel Treibhausgasen ist das aber nicht. Kompensation sollte immer nur die zweitbeste Lösung sein. Nach Atmosfair sind nur 2300 kg CO2 pro Person und Jahr klimaverträglich. Wer gerne verreist, kann auch auf Öko-Tourismus setzen oder auf bewusste Einfachheit wie in Jugendherbergen oder beim Zelten auf Camping-Plätzen. Man findet Öko-Camping-Plätze oder klimafreundliche Hostels auf ecocamping.de, bookitgreen.com, eco-ferien.de oder viabono.de. Frank  Herrmann hat über dieses Thema das Buch „FAIRreisen“ geschrieben. Es gibt Eco-Hostels, die ihren Strom mit Solaranlagen auf dem Dach gewinnen oder in ihren Restaurants nur regionale oder saisonale Lebensmittel verwenden. So wird Müll und CO2 gespart. Wer sich erholen will, sollte anstatt fern zu reisen mit unausweichlichem Massentourismus eher in der Nähe bleiben. Europa ist gut mit Bus und Bahn erkundbar. Wandern in der Schweiz und den Alpen ist besser als Langstreckenfliegen, auch wenn es vielleicht etwas mehr kostet. Der Preis allein darf nicht entscheidend sein. Wer sparen möchte, wenig CO2 verbrauchen will, muss bei sich selbst anfangen und bereit sein Opfer zu bringen. Damit es nicht bei Demonstrationen bleibt, sondern auch gehandelt wird!

Wer aktiv etwas bewegen will, sollte nicht beim eigenen Geldbeutel sparen, sondern muss die systemischen Zusammenhänge erkennen von Ausbeutung, Kinderarbeit, Armut und Umweltzerstörung, die in einer globalisierten Welt mit billigen Preisen verbunden sind. Viel zu oft wird das alles von Großkonzernen vertuscht. Vieles ist oft unwiderstehlich günstig. In einer globalen Welt mit wenigen Gewinnern und vielen Verlierern entfaltet der Preis aber nicht mehr eine sinnvolle Lenkungswirkung. Wer aktiv etwas ändern will, sollte sich aktiv engagieren und in der Gesellschaft einbringen, sei es ehrenamtlich, in Vereinen, aktiv oder passiv in Parteien oder Organisationen, damit die eigene Stimme auch wirklich Gehör findet. Wem das zu viel ist oder wer beruflich stark eingebunden ist (womöglich in Unternehmen, die Natur oder Menschen ausbeuten!), sollte mindestens fleißig spenden und so Steuern sparen, wie z.B. für die Gemeinwohl-Ökonomie, egal wie viel, wenn es auch nur 10 € sind. Das bringt die Welt weiter! Gemeinsam etwas bewirken! Jetzt handeln! (für mehr Informationen über dieses interessante Thema siehe das aktuelle Zeit-Campus oder auch online unter zeit.de/die-antwort).

Kooperation vor Konkurrenz? Oder schlicht nur ein Wertemangel?

Als Insider der Gemeinwohl-Ökonomie möchte ich mit einem für mich geltenden kleinen Missverständnis aufräumen. Vielfach wird behauptet, Kooperation stehe unbedingt vor Konkurrenz oder noch schlimmer, Konkurrenz als solche sei sogar von Übel, was im Allgemeinen leicht einleuchten sollte, wenn man nur die verheerenden Folgen in der Welt beobachtet, die von dunklen Emotionen wie Gier, Neid oder blankem Egoismus erzeugt werden. Dabei handelt es sich für mich aber um nichts weiter als Haarspalterei, Wortklauberei und eine reine Philosophie der Worte.

Als Menschen und Mitglied der Natur können wir nicht anders, als uns, unsere eigenen Ansprüche und Vorstellungen über die der anderen zu stellen, sonst hätten wir insgesamt als Menschheit in der Evolution nicht überlebt. Konkurrenz ist allgegenwärtig. Wir konkurrieren um Lebensmittel. Wir konkurrieren um Arbeitsplätze. Wir konkurrieren um Wohnraum. Wir konkurrieren um mögliche Lebenspartner. Wir leben leider nicht in einem Schlaraffenland und Welt des Überflusses, sondern sind gezwungen, um knappe Ressourcen zu kämpfen und uns im Leben zu behaupten, wenn wir überleben und unsere Gene weitergeben wollen.

Konkurrenz ist per se erst einmal nichts Schlechtes. Es ist nur die Frage, welche Stilblüten sie treibt. Auch der Begriff der Kooperation wird häufig missverstanden. Betrachten wir Kooperation einmal als Nash-Gleichgewicht rationaler Partner, die um knappe Ressourcen konkurrieren und ihren Nutzen maximieren wollen. Dann handelt es sich bei Kooperation schlicht um nichts anderes als sich gegenseitig fördernde Konkurrenz im Sinne einer Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Egoismus und Eigensinn gehört zum Menschen. Es gibt die einen, die wollen möglichst viel Geld verdienen. Andere wollen lediglich Spaß im Leben haben. Dann gibt es jene, die die Welt ein wenig besser machen und gleichzeitig gutes Karma sammeln wollen. Alle wollen ständig irgendetwas. Unser Gehirn ist ständig aktiv und auf der Suche. Wir können unsere Begierden und Wünsche nicht einfach auf Knopfdruck abschalten. Soll das heißen, es gäbe keine Empathie, kein Mitgefühl, keine Tugend? Mitnichten, aber auch diese werden letztlich über unseren Bauch bewertet. Es gibt keinen wertfreien, an sich seienden, von jeder Emotion losgelösten Gedanken. Im Bauch sitzt aber unser Ego und es gibt durchaus einen hellen und einen dunklen Egoismus.

Bei manchen scheint es ein wenig undurchsichtiger zu sein. Ja selbst der Gutmensch, der sich öffentlich als so wahnsinnig altruistisch präsentiert, will was. Wenn es auch nur das Gefühl der eigenen moralischen Überlegenheit ist. Aber auch solche Menschen sind letztlich Egoisten. Sie wollen sich gut fühlen, vielleicht moralisch höherwertiger als andere. In diesem Sinne könnte man Kooperation als eine positive Ausprägung von Konkurrenz verstehen und das Gegensatzpaar Konkurrenz-Kooperation würde sich in Wohlgefallen auflösen. Wettbewerb und Konkurrenz gehören zum Leben und sind prägende Bestandteile unserer Natur. Warum haben in der Vergangenheit viele Menschen der Nachwelt so großartige Leistungen hinterlassen? War es nicht auf Grund von Wettbewerb, Konkurrenz oder Egoismus, selbst, wenn es nur der egoistische Wunsch nach Perfektion war? Egoismus ist nun einmal existent und lässt sich nicht einfach wegdiskutieren.

Was aber wirklich Not tut ist eine Änderung der Werte!

Tatsächlich leben wir in einem Zustand der Sinnleere. Wir befinden uns in der modernen Zivilisation in einer fundamentalen Wertekrise. Werte sind Navigationspunkte oder Leitsterne, die unser Handeln lenken. Wie wir ticken, wie wir in Beziehungen handeln, wird uns mehr oder weniger durch unsere Gene und unsere Kultur diktiert. Gegen unsere Gene können wir nicht viel tun. Unsere Kultur aber können wir ändern. Es wäre schön, wenn jeder erkennen würde, dass der dunkle egoistische blanke Trieb nach Geld, Macht und Status nicht zum Besten ist für die Gesellschaft, die Natur und die gesamte Mitwelt. Anstatt aber zu versuchen uns Menschen zu ändern, die sich nur schwerlich ändern lassen, sollten wir vorrangig die Regeln ändern, nach denen wir Menschen miteinander und im Austausch mit unserer Mitwelt leben, damit wir alle mehr auf helle Art und Weise egoistisch handeln können und wollen.

Es wäre also gut, wenn sich peu a peu die Werte des Zusammenlebens innerhalb der Gesellschaft zum Besseren hin verändern würden. Hin zu Großzügigkeit, Respekt, Wohlwollen, Anerkennung und gegenseitiger Wertschätzung, also einem eher hellen Egoismus im Sinne eines übergeordneten größeren Ganzen, einer Art Welt-Ethos. Weg von Anti-Werten, also einem eher dunklen Egoismus. Gegen Konkurrenz und Wettbewerb können wir wohl nicht viel ausrichten. Im Gegenteil, sie können wichtige Triebfedern von Innovationen sein. Kooperation ist natürlich wünschenswert, wenn auch in manchen Lebenslagen utopisch, aber erst die Änderung der Zielrichtung, also der Werte, macht den Unterschied. Wir befinden uns momentan in einer fundamentalen Sinnkrise und durchleben einen Wertemangel.

Die GWÖ liefert eine Grundlage für einen Wertewandel: die addierten Gemeinwohl-Punkte in der Gemeinwohl-Bilanz. Konkurrenz um Geld oder Profit wird ersetzt durch Konkurrenz um den höchstmöglichen Gemeinwohl-Beitrag, was gleichzeitig in geschickter Weise eine bestmögliche Kooperation im jeweiligen Umfeld beinhaltet. Ein konkretes Beispiel, allerdings noch auf Geldbasis: In Deutschland wird nicht veröffentlicht, wer wie viel Steuern entrichtet. Im Ergebnis ist es für ein Individuum der Gesellschaft vollkommen rational, so wenig Steuern zu bezahlen wie möglich. Anders in Schweden: Hier werden die gezahlten Steuern offengelegt. Dort sind die Menschen stolz auf ihren Beitrag für das gemeinsame Zusammenleben, was auch ein Grund für das gute soziale Klima in den skandinavischen Ländern ist.

Kooperation vor Konkurrenz? Oder schlicht nur eine unfaire Gesellschaft?

Die Aussage, dass jegliches Verhalten allein auf Egoismus beruhe, greift offenbar zu kurz. Auch ist die Definition von Egoismus nicht ganz klar. Ist es schon Egoismus, wenn ich nur mache, was ich will, oder ist das nicht eher Egozentrik? Oder ist es nicht nur dann Egoismus, wenn ich dabei, was ich tue, die Gefühle oder Ansichten anderer nicht achte oder verletze?

Tatsächlich versteht man Gruppenkooperation in der Evolutionsbiologie als eine Form von Egoismus (im Sinne „egoistischer Gene“ nach Dawkins), also im Prinzip als eine Form von Konkurrenz. Drückt man nämlich die geltenden Verwandtschaftsverhältnisse in Zahlen aus, so geben diese im Tierreich nicht selten die praktizierten evolutionären Strategien wieder. Dies allein liefert aber noch keine Erklärung für die Tatsache, warum radikale Selbstlosigkeit beim Menschen möglich ist, also der selbstlose Dienst an Gruppenmitgliedern, dem „Volk“, ja manchmal, an vollkommen Wildfremden. Da hier jeweils andere die Nutznießer sind, ist dies evolutionär gesehen eindeutig ein Nachteil. Da es jedoch immer wieder Menschen gibt, die sich zwanglos und selbstbestimmt in den Dienst anderer stellen und über ihre persönliche Sphäre hinausgreifen, muss man dies wohl als ein in jedem Menschen irgendwie angelegtes Grundverhalten auffassen. Da man dies also eine Form der Kooperation ansehen kann, die einem selbst keine unmittelbaren Vorteile bringt, kann man annehmen, dass die Bereitschaft zur Kooperation in jedem Menschen angelegt ist.

Auch Werte können eine Schmiermittelfunktion übernehmen. Wenn ich selbst darauf vertrauen kann, dass der andere die gleiche Grundhaltung hat oder die gleichen Werte teilt wie ich selbst (Kultur, Staat), kann ich mich selbst erst vertrauensvoll in einer Beziehung offenbaren und dem anderen öffnen. Wenn ich stets die Befürchtung haben müsste, hintergangen zu werden, sind gelingende Beziehungen nicht möglich oder sehr schwierig. Einem sogenannten Gutmenschen niedere Beweggründe zu unterstellen, ist auch nicht zielführend. Es kann ja durchaus sein, dass ein Altruist die geltenden Werte für sich zur eigenen Natur gemacht hat, sie verinnerlicht hat und dies keiner Rechtfertigung mehr vor sich selbst bedarf. Man könnte ihn vielleicht als einen voll-selbstverwirklichten Menschen verstehen, der im Dienst am anderen aufgeht. Es geht also primär darum, die hellen Werte zu verinnerlichen, im Hier und Jetzt zu sein. Das können aber nur die wenigsten. Das Leben eines Großteils der Menschen in der modernen Gesellschaft ist nur geprägt von der Jagd nach schnellem und immer mehr Konsum, Statusdenken und Wettbewerb untereinander, ohne über die Scholle des eigenen Daseins hinauszublicken.

Kooperation als eine Win-Win-Situation rationaler Partner zu verstehen, die eigentlich konkurrieren und ihren Nutzen maximieren wollen, ist jedem hinlänglich verständlich, denn welches Unternehmen würde aus freien Stücken einem anderen Unternehmen etwas schenken oder unentgeltlich überlassen, wenn es nicht im Gegenzug daraus einen Vorteil ziehen würde? Dies ist vollkommen im Einklang mit der herrschenden Moral in der Gesellschaft und dem Profitdenken im Rahmen des vorherrschenden Kapitalismus, was im Rahmen der Gemeinwohl-Ökonomie aber so nicht der Fall sein muss.

Kooperation gedeiht dort am besten, wo die Gesellschaft einigermaßen homogen, gerecht und fair ist. Ein Beispiel aus dem Tierreich zu Fairness: Gibt man zwei Kapuzineräffchen, die gemeinsam angestrengt an einer Aufgabe arbeiten, jeweils zur Belohnung Gurkenscheiben, so kooperieren sie. Gibt man einem der Äffchen Gurkenscheiben und dem anderen viel leckere Weintrauben, dann hört der eine Affe, der sich ungerecht behandelt fühlt, nicht nur auf zu kooperieren, sondern würde dem anderen Affen sogar liebend gerne an seine Gurgel, ein destruktives Verhalten, was beim Menschen meist durch den präfrontalen Cortex verhindert wird. Oder ein Beispiel zu Fairness und Gerechtigkeit unter Menschen: Gut bekannt ist das sogenannte Ultimatum-Spiel. Ein fester Betrag von z.B. 100€ soll aufgeteilt werden. Eine Person A, der dieser Betrag übergeben wird, muss sich entscheiden, wie viel sie einer Person B zugesteht, die ihrerseits, wenn diese den zugeteilten Betrag als nicht angemessen empfindet, den gesamten Vorgang platzen lassen kann. Dann bekommt auch Person A nichts. In egalitären Gesellschaften, in denen die gegenseitigen Bindungen untereinander stark und die Mitglieder wechselseitig aufeinander angewiesen sind, ist man bereit, mehr zu geben, bzw. man verlangt auch mehr, je nachdem von welcher Warte aus man es betrachtet. Gleichheit und Fairness innerhalb der Gesellschaft sind als Kitt für den sozialen Zusammenhalt also unbedingt notwendig. Doch es gibt Unterschiede, je nach Kultur, in der man aufgewachsen ist, d.h. ob man eher individualistisch und stärker eigennutzorientiert handelt oder egalitär und stärker gemeinschaftsbindend ausgerichtet ist. Im Moment, wo sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet, erodiert auch die gemeinsame Basis für Kooperation zusehends.

Auch Vertrauen ist wichtig. Jeder Betroffene muss darauf vertrauen können, dass der andere ebenso sein Wort hält oder einen fairen Anteil gibt. Einen wichtigen Impuls mit Signalcharakter, um diese Vertrauenswürdigkeit nach außen hin zu vermitteln, ist Ansehen als eine Form von Vertrauensvorschuss. Ansehen ist nicht gleich Status. Ansehen bedeutet Wertebasiertheit, Reputation auf Grund inneren Reichtums, während Status mehr konsum-orientiert ist und äußeren Reichtum nach außen hin anzeigt, d.h. materiellen Reichtum oder Macht. Ansehen ist ein soziales Kapital, das in vergangenen Beziehungen erworben wurde, das auf Werten, Reputation und Vertrauen basiert. Ansehen ist eine Art von gelebter Rechtschaffenheit, Weisheit, Demut und Achtung vor der Mitwelt. Kennt man den anderen Partner nicht, fährt man gut, wenn man darauf vertrauen kann („ehrbarer Kaufmann“). Was ist aber, wenn Ansehen auf Basis von Anti-Werten erworben wurde, oder sogar auf Missbrauch von Macht beruht?

Kooperation basiert auf Vertrauen, gegenseitigem Respekt und Achtung voreinander.  Wenn eine Übereinkunft auf hellen Werten basiert und alle danach handeln, ist es gut. Es muss also Vertrauen da sein, dass auch alle anderen ebenso fair, ehrlich und vertrauensvoll handeln wie ich selbst, und nicht etwa betrügen. Es ist also wichtig, erkennen zu können, ob die anderen Mitbewerber bzw. -spieler kooperieren wollen!

Im Rahmen von spieltheoretischen Modellen hat man verschiedene Strategien gegeneinander antreten lassen. Verblüffenderweise hat sich herausgestellt, dass die einfachste Strategie und damit das kürzeste Programm, allen anderen überlegen war: „Tit for Tat“. „Tit for Tat“ bedeutet, vereinfacht ausgedrückt, tue dem anderen das, was dir der andere tut. Also kooperiert er, kooperiere auch. Wenn er aber nicht kooperiert, dann kooperiere auch nicht. Das offensichtliche Problem dabei ist allerdings, dass man sich so schnell in einer Abwärtsspirale aus Vergeltung wiederfindet. Am besten war also eine Strategie, bei der zufällig von Zeit zu Zeit wieder einseitig kooperiert wurde, um diesem Phänomen zu entkommen. Kooperation ist also nicht nur abhängig von Vertrauen und Fairness, sondern basiert zu einem großen Teil auf gegenseitiger Beziehungsfähigkeit, Empathie, Verständnis und Wertschätzung, die man dem anderen entgegenbringt, um Nicht-Kooperation zu vermeiden.

Um ein Verhalten mehr in eine Richtung zu lenken, das wünschenswert in Sachen Kooperation ist, sind auch Anreize von Bedeutung, um die eigene Trägheit zu überwinden und das Verhalten in eine Richtung zu lenken, die gesellschaftlich gewollt ist. Einem nun aber mit dem erhobenen Zeigefinger zu kommen und zu behaupten, dass sei alles schlecht, was man so tue, ist eindeutig kontraproduktiv. Konkurrenz und Wettbewerb ist ein Teil des Grundrepertoires menschlichen Verhaltens. Kooperation aber eben auch. Um Möglichkeiten zu eröffnen, in gelingenden Beziehungen kooperativ miteinander verhandeln zu können, sind allerdings, wie bereits ausgeführt, bestimmte Vorbedingungen notwendig.

Die Gemeinwohl-Ökonomie und Werte

Wir leben in einer Welt der Polaritäten, der Gegensätze:
  • Denken – Fühlen,
  • Materie – Geist,
  • Naturwissenschaften – Geisteswissenschaften,
  • Technik – Natur.

Indem wir eine Seite überbetonen, vernachlässigen wir die andere Seite. Der Mensch ist aber eine Ganzheit, ein Holon.

Für das praktische Handeln ist die humanistische Ethik letztbegründend. Werte sind Leitsterne oder Navigationspunkte, an die wir uns halten können. Religion als Hüter oder „Erfinder“ der Werte ist eine kulturspezifische Ausformung und wird letztlich genährt vom Wunsch des Menschen nach Transzendenz, also dem Wunsch, zu etwas zu gehören, was größer, weiter und vermutlich wichtiger ist als man selbst. Werte sind aber generell und universell gültig und faktisch unabhängig von jeder Religion.

Um dem Herzen als Zentrum umfassender individueller Weisheit zu folgen, reicht es, sich an die universalen Werte:

  • Achtsamkeit, Aufmerksamkeit, Präsenz,
  • Authentizität, Ehrlichkeit,
  • Empathie, Wertschätzung,
  • Reziprozität,
  • Kooperation,
  • Großzügigkeit,Teilen und
  • Verzeihen

zu halten.

Im täglichen Leben und besonders in der Wirtschaft gedeihen aber Anti-Werte wie:

  • Habsucht, Gier,
  • Neid, Eitelkeit,
  • Prahlen, Blenden, Lügen,
  • Rücksichtslosigkeit, Skrupellosigkeit und
  • strukturelle Gewalt.

Wenn auf die Stimme in unserem Herzen hören, dann vermeiden wir solche Anti-Werte.

Das kann auf verschiedene Weise geschehen. Ein erster Schritt ist Gewahrwerden der Universalität. Uni-Versum kommt von „ganz, zusammen“. Tatsächlich ist das Universum, in dem wir leben, nichts weiter als ein Netz gegenseitiger Beziehungen. Die Wissenschaft meint, das Universum sei einfach so aus dem Nichts entstanden. Damit das funktioniert muss aber aus dem Einen Vieles werden und das geht offenbar nur, indem das Eine sich in Vielheiten aufspaltet. Letztlich ist also alles polar im Universum, d.h. dual oder reziprok.

Wenn aber die eine Seite zu sehr betont wird, dann entsteht Leere und die Vielfalt wird zerstört. Zur Zeit ist der Materialismus eine Art von Religionsersatz. Nach dessen Doktrin sind wir nur zufällig entstandene Wesen in einem unendlich weiten Universum aus lauter Galaxien, Sternen und Planeten. Wenn man der Logik des Materialismus folgt, gibt es keinen Plan und kein Ziel. Dies mündet direkt in die herrschende Moral des Kapitalismus: „Homo homini lupus“, nach der alles erlaubt und machbar ist, wenn es den eigenen Interessen dient. Das Materielle spricht die Sprache des Kopfes und Bauches: Nutzenmaximierung und grenzenlose Selbstbehauptung. Das Geistige spricht die Sprache des Herzens: des Holons, der Liebe.

Unser Planet besteht aus einem Netz gegenseitiger Beziehungen. Alles baut aufeinander auf. Alles hängt voneinander ab. Indem wir versuchen der Erde durch unsere Technik unseren Willen aufzuzwingen, zerstören wir dieses Gleichgewicht. Indem wir der Mitwelt Gewalt antun, bekämpfen wir letztlich die Natur in uns selbst. Unser Planet Erde ist wie „Gaia“ oder „Pachamama“: ein lebender Organismus. Nichts kann entnommen oder hinzugefügt werden, ohne etwas anderes an anderer Stelle zu verändern oder zu vernichten. Alles ist Teil eines großen Ganzen. Wir sind Teil eines großen Ganzen.

Es gibt immer das Konstruktive und das Destruktive. Auch wir Menschen können nur überleben, indem wir die Natur für uns nutzen und dabei abbauen. Die Natur hat in einem begrenzten Maße aber die Fähigkeit sich selbst zu heilen. Dazu müssen die auf sie einwirkenden Kräfte jedoch nahezu im Gleichgewicht sein.

Da wir aber eine Ganzheit sind und alles reziprok und miteinander vernetzt ist, wirken wir durch unser Handeln auf die Natur auf uns selbst zurück. Das Leid der Natur, insbesondere der belebten Natur, hat eine Wirkung auf das kollektive Unbewusste und schürt Aggression, Gewalt und Schmerz im Menschen. Depression ist nichts weiter als Gewahrwerden des gesamten Leids, das wir der Natur antun. Tiefenökologie ist die bewusste geistige Haltung, in der wir unser Selbst auf alles Leben ausweiten, auf den ganzen Planeten, auf das Universum. Indem wir uns nicht als Mensch im Mittelpunkt stehen sehen, sondern die gesamte Schöpfung. Und wir den Schmerz der Schöpfung mitempfinden, wenn der Natur großes Leid angetan wird.

„Alles, was der Erde widerfährt, widerfährt auch den Söhnen und Töchtern der Welt“

Um dem Gesetz des Universums zu folgen, heißt es also, im Einklang zu leben mit dem, was machbar ist und dem, was auf keinen Fall gemacht werden sollte, wenn es dazu führt, dass der Mitwelt und damit letztlich auch uns selbst Schaden zugefügt wird. Um ein Gespür für das rechte Handeln zu finden, müssen wir die Stimme des Herzens in uns kultivieren, die Werte, und nicht die Anti-Werte, verinnerlichen und versuchen, etwas zu erreichen, indem wir untereinander in gelingenden Beziehungen verhandeln ohne einseitig Macht auszuüben, sei es durch Kapital oder Androhung und Ausübung von physischer oder psychischer Gewalt. Ein Mensch, der sich seiner Verantwortung für die Schöpfung gewahr und dieser gerecht wird, strebt eher nach Einheit anstatt nach Trennung und fördert eher Verbundenheit statt Egoismus und Rücksichtslosigkeit.

In unserer modernen westlichen Kultur müssen wir unsere Gefühle oft verdrängen, abtrennen oder abspalten, um mithalten zu können. Oftmals ist die von außen kommende erlebte Gewalt so stark, dass wir verkopfen oder in unseren Gefühlen verhärten und die Bindung zwischen der inneren und äußeren Natur verlieren und uns dabei von der universalen Quelle und Kraft entfernen. Heilwerden und Ganzwerden heißt Versöhnung mit uns selbst, den eigenen Bedürfnissen, Gefühlen, Intuitionen, Feinsinnen und Antennen. Es heißt Anbindung anstatt Abtrennung. Wir sind alle Resonanzkörper für die Melodie eines größeren Ganzen.

Ein zweiter wichtiger Schritt ist Infragestellung

  • des wissenschaftlichen Machbarkeitswahns,
  • des kapitalistischen Wachstumszwangs und
  • des unbedingten industriellen Fortschrittsglaubens.

Geld als alleiniger Zweck des Wirtschaftens führt geradewegs zu Anti-Werten. Geld sollte nur als Mittel zum Wirtschaften gesehen werden. Anstatt nur nach dem individuellen Wohl des Einzelnen zu schauen, sollte das Gemeinwohl gefördert werden. Zuallererst steht das Wohl unserer Mitwelt und unseres Planeten Erde, von denen wir nur ein Teil sind. Eher Kooperation und Teilen anstatt Konkurrenz und Egoismus.

Eine ethische Wirtschaft ist möglich!