Volksbegehren Bedingungsloses Grundeinkommen aus Sicht der GWÖ Berlin-Brandenburg

Das Ziel einer sozial-ökologischen Transformation wird von der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) und dem Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) auf unterschiedlichen Wegen verfolgt. Inwieweit können sich dabei ein BGE und die GWÖ ergänzen? Grundlage dafür wäre die Konkretisierung eines gemeinsamen Werterahmens, gestützt auf das GWÖ-Prinzip „Gemeinwohloptimierung statt Profitmaximierung“ und die mit dem BGE verknüpfte Grundforderung nach individueller Selbstbestimmung.

1. Volksbegehren „Bedingungsloses Grundeinkommen“ von Expedition Grundeinkommen

Ziel des Volksbegehrens ist ein Modellversuch zur Erforschung der Wirkung, Akzeptanz und Umsetzbarkeit verschiedener Varianten des bedingungslosen Grundeinkommens. Der Modellversuch soll Antworten auf beispielsweise folgende Fragen liefern:

  • Welche Wirkungen hat der für drei Jahre gesicherte Anspruch auf das Grundeinkommen auf die Gesundheit, die soziale und wirtschaftliche Situation, das Konsumverhalten sowie das bürgerschaftliche und soziale Engagement der Versuchsteilnehmer*innen?
  • Welche Auswirkungen haben die getesteten Varianten des BGE auf die soziale und kulturelle Situation in den Städten und Gemeinden?

Ein bedingungsloses Grundeinkommen im Sinne dieses Modellversuchs ist ein Einkommen, das eine politische Gemeinschaft bedingungslos jedem ihrer Mitglieder gewährt. Es soll:
die Existenz sichern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen, einen individuellen Rechtsanspruch darstellen sowie ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Zwang zu Arbeit oder anderen Gegenleistungen garantiert werden.

Ausgestaltungsform des Grundeinkommens: Das Grundeinkommen wird mit der Einkommensteuerschuld verrechnet. Wer mit seiner Einkommensteuer über einer bestimmten Grenze liegt, bekommt kein Grundeinkommen ausgezahlt. Wer unterhalb dieser Grenze liegt bzw. kein zu versteuerndes Einkommen hat, erhält einen staatlichen Transfer in Form einer negativen Einkommensteuer (formal eine Steuererstattung). Unterschiedliche Transferentzugsraten sollen innerhalb des Modellversuch in unterschiedlichen Versuchsgruppen getestet werden.

Somit soll neben der Frage der Wirkung auf die Versuchsteilnehmer*innen und ihre Gemeinden auch die Frage nach einem realistischen Finanzierungskonzept geklärt werden:

  • Welche Variante hat die positivsten Effekte?
  • Gibt es einen Unterschied zwischen hohen und niedrigen Transferentzugsraten?

Partizipativer Ansatz für die Auswahl der getesteten Varianten: Bürger*innen aus den Städten und Gemeinden des Modellversuchs werden im Rahmen eines kokreativen Bürgerbeteiligungsverfahrens Empfehlungen über die Varianten formulieren. Außerdem können sie den Forschenden ihre Fragen ans Grundeinkommen mitgeben.

Mehr Informationen auf: https://expedition-grundeinkommen.de

2. Bedingungsloses Grundeinkommen und die Gemeinwohl-Ökonomie

Aus Sicht der Gemeinwohl-Ökonomie gibt es verschiedene Ansätze, welche eine gemeinwohlorientierte Wirkung auf die Gesundheit sowie die soziale und wirtschaftliche Situation von Menschen haben. In der Bewegung der Gemeinwohl-Ökonomie wird daher nicht ausschließlich das bedingungslose Grundeinkommen betrachtet.

Das bedingungslose Grundeinkommen hat als Ansatz je nach Ausgestaltung das Potenzial insbesondere die GWÖ-Werte „Menschenwürde“ und „Solidarität und Gerechtigkeit“ in der Gesellschaft positiv zu beeinflussen. Indirekt können auch die GWÖ-Werte „ökologische Nachhaltigkeit“ sowie „Transparenz und Mitentscheidung“ beeinflusst werden.

Welche Wirkungen hat der für drei Jahre gesicherte Anspruch auf das Grundeinkommen auf die Gesundheit, die soziale und wirtschaftliche Situation … der Versuchsteilnehmer*innen und die Situation in den Städten und Gemeinden?

a) Leistungsfähigkeit
Gesellschaftlich wird in der Gemeinwohl-Ökonomie berücksichtigt, dass die Menschenwürde unabhängig von der Leistungsfähigkeit ist. Dabei verdient jeder Mensch Wertschätzung, Respekt und Achtung und sollte am gesellschaftlichen Leben teilhaben können (siehe Gemeinde-Bilanz D1 und D2).
Ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte dies unabhängig von der Leistungsfähigkeit eines einzelnen Menschen ermöglichen und gesellschaftlich positiv auf den Wert „Menschenwürde“ wirken.

b) Gesundheit
Ein Leitprinzip der Gemeinwohl-Ökonomie ist das individuelle Wohl und Unversehrtheit. Die Gesundheit des Individuums soll geachtet und gefördert werden und wird im Sinne der WHO-Definition als „Zustand des völligen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens“ verstanden (siehe Gemeinde-Bilanz D1).
Ein bedingungsloses Grundeinkommen kann dies abhängig von der Höhe ermöglichen.

c) Lebenswürdiges Einkommen
Fortgeschrittene GWÖ-Unternehmen treffen Maßnahmen, um allen Mitarbeitenden einen an regionale Lebenshaltungskosten angepassten „lebenswürdigen Verdienst“ zu gewährleisten (Siehe Gemeinwohl-Bilanz C2). Abhängig von der Höhe des bedingungslosen Grundeinkommens kann das BGE darüber hinaus gehen, da der lebenswürdige Verdienst dann nicht mehr von Erwerbsarbeit abhängig gemacht werden würde, sondern bedingungslos jedem zugestanden werden könnte. Ein BGE kann in diesem Aspekt ebenfalls gesamtgesellschaftlich positiv auf den Wert „Menschenwürde“ wirken.
Die Studie zum BGE kann darüber hinaus herausfinden, in welchem Ausmaß ein selbstbestimmtes individuelles Leben Voraussetzung für einen angemessenen und verantwortlichen Umgang mit dem Gemeinwohl ist.

d) Gesellschaftliche Einkommensverteilung
Die Gemeinwohl-Ökonomie berücksichtigt die Einkommensverteilung bei Unternehmen in der Ausgestaltung des Verdienstes. Wobei die Spreizung zwischen höchstem und niedrigstem Verdienst innerhalb der Organisation bei maximal 1:5 liegen sollte. Darüber hinaus macht die GWÖ, z.B. im Buch Gemeinwohl-Ökonomie, verschiedene Vorschläge zur Einschränkung von Kapitalerträgen und im Bereich der Vermögensverteilung auch zur Erbschaftssteuer usw.
Das bedingungslose Grundeinkommen kann das Verhältnis zwischen einkommensarmen und einkommensreichen Personen verändern. Einkommensarme Personen sind vor allem erwerbslose Personen sowie Erwerbstätige, die im Niedriglohnsektor beschäftigt sind. Sofern das BGE eine Höhe erreicht, die über den Beträgen liegt, die im Rahmen der sozialen Grundsicherung gezahlt werden, erhöht sich das Einkommen dieser Personen. Gleiches gilt, wenn gering qualifizierte Personen zusätzlich zu ihrem Arbeitseinkommen das Grundeinkommen beziehen. Bei einkommensreichen Personen wird die Einführung eines steuerfinanzierten BGE zu einer höheren Steuerbelastung führen, sodass die verfügbaren Einkommen dieser Personen geringer werden.  Die Einkommensschere zwischen einkommensarmen und einkommensreichen Personen wird dann geringer, sodass die Einkommensungleichheit kleiner wird.
Ein BGE kann daher die Einkommensspreizung verringern, welches den Wert „Solidarität und Gerechtigkeit“ positiv beeinflussen würde.

Weitere Gedanken zu GWÖ und BGE bietet der Beitrag von Otto Lüdemann „Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) und Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) – Gemeinsam stark gegen neoliberales Hegemoniestreben für ein nachhaltiges und soziales Europa“, welcher im bald erscheinenden Buch „Grundeinkommen braucht Europa, Europa braucht Grundeinkommen“ des LIT-Verlags zu finden ist und aus welchem die Einleitung für diesen Text entnommen ist.

3. Unterstützung des Volksbegehrens durch die GWÖ Berlin-Brandenburg

Der Gemeinwohl-Ökonomie Berlin-Brandenburg e.V. unterstützt das Volksbegehren „Bedingungslosen Grundeinkommen“, betont jedoch, dass die Ausgestaltung des BGE für einen positiven Einfluss auf das Gemeinwohl entscheidend ist. Ein potenzielles zukünftiges BGE muss mindestens über der aktuellen sozialen Grundsicherung liegen und sollte möglichst allen ein den regionalen Lebenshaltungskosten angepasstes lebenswürdiges Einkommen ermöglichen. Die Gemeinwohl-Ökonomie Berlin-Brandenburg begrüßt es daher, dass das Volksbegehren auch der Frage nach dem Unterschied zwischen hohen und niedrigen Transferentzugsraten und der damit verbundenen Höhe des BGE nachgeht.

Mit Blick auf die Herausforderungen der Zukunft ist es im Interesse der Berliner GWÖ- und BGE-Bewegung, als ambitionierten Akteuren der Zukunftsgestaltung, diese Kooperation einzugehen und hierdurch praktisch die Chancen und Grenzen für eine gemeinsame sozial-ökologische Transformation zu erproben.