Positionen der GWÖ Berlin-Brandenburg zur AGH-Wahl 2021

Abgeordnetenhauswahl

Die Wahlen zum Abgeordnetenhaus in Berlin vom 26.09.2021 sind bedeutungsvoll für die Entwicklung der Stadt und das Leben ihrer Einwohner*innen. Die Metropole wächst und mit ihr die Spannungen zwischen Unternehmungen und sozialen wie ökologischen Herausforderungen. Diese Spannungen gilt es, abzubauen, denn der Klimawandel, die soziale Ungleichheit und nicht zuletzt die pandemischen Auswirkungen erfordern Lösungen, welche das Wohl aller Bürger*innen in den Mittelpunkt des Handelns stellen.

Das Thema Wohnen und damit verbunden der schnelle Anstieg von Mietpreisen und fehlendem Wohnraum nehmen wesentlich Einfluss auf das Leben zahlreicher Bewohner*innen Berlins. Das klare Votum für die Beschlussvorlage des Volksentscheides
Deutsche Wohnen und co. enteignen macht deutlich, dass es mit Blick auf die Aspekte bezahlbaren Wohnraum und Eigentumsverhältnisse einen starken Veränderungswillen in der Bevölkerung gibt. Mit Blick auf den Volksentscheid und die Wahlergebnisse der Abgeordnetenhauswahl lässt sich die Hypothese aufstellen, dass es eine Mehrheit in der Hauptstadt für ein werteorientiertes Wirtschaften gibt, das soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt stellt.

Gemeinwohlorientierte Unternehmungen, die nach Werten von Menschenwürde, Solidarität, ökologischer Nachhaltigkeit, sozialer Gerechtigkeit sowie demokratischer Mitbestimmung und Transparenz ausgerichtet sind, können dem profitorientierten Streben einzelner Akteure entgegengesetzt werden. Gemeinwohlorientiertes Wirtschaften legt den Grundstein für die soziale und ökologische Nachhaltigkeit unserer Gesellschaft. Um den Herausforderungen zu begegnen, sprechen wir fünf gemeinwohlorientierte Empfehlungen an das Berliner Abgeordnetenhaus für die neue Legislaturperiode aus.

1. Erstellung einer Berliner Nachhaltigkeitsstrategie

Empfehlung:
Wir empfehlen ausdrücklich die Erstellung einer Landesnachhaltigkeitsstrategie (LNS) für Berlin mit einem Aktionsplan und konkreter Terminierung für deren Umsetzung.

Begründung:
Im Koalitionsvertrag der Rot-Rot-Grünen Landesregierung von Berlin der Legislaturperiode 2016-2021 haben sich die regierenden Parteien den 17 Nachhaltigkeitszielen der UN-Agenda 2030 für die Berliner Stadtpolitik verpflichtet. Diese zielt darauf ab, die Gesellschaft sozial und ökologisch nachhaltig zu gestalten. Für deren Umsetzung wurde bislang in Berlin keine landesweite Nachhaltigkeitsstrategie erstellt und umgesetzt.
Gemeinsam mit einem breiten Bündnis von Akteuren aus dem Bereich Nachhaltigkeit betrachten wir die Ausarbeitung konkreter Ziele und Zeitangaben für die Umsetzung der 17 Nachhaltigkeitsziele für Berlin als essenziell. Somit könnten erforderliche Impulse gesetzt und Kräfte für die nachhaltige und gemeinwohl-orientierte Gestaltung der Stadt gebündelt werden. Überprüfbare und aussagekräftige Indikatoren sowie die wissenschaftliche Begleitung des Prozesses sollten die Nachsteuerung der konkreten Umsetzung unterstützen.

Beispiele:
12 der 16 Bundesländer haben bereits eine Nachhaltigkeitsstrategie.

2. Einführung eines Gemeinwohl-Produktes für Berlin

Empfehlung:
Wir empfehlen die Einführung eines Gemeinwohl-Produktes, welches das Wohlbefinden der Berliner Bevölkerung misst.

Begründung:
Häufig wird das Bruttoinlandsprodukt, der Gesamtwert aller hergestellten Waren und Dienstleistungen, als Erfolgsindikator für ein Land herangezogen. Damit wird der materielle Wohlstand einer Gesellschaft gemessen, jedoch werden keine weiteren qualitativen Merkmale betrachtet. Die Einhaltung von Menschenrechten und ökologischer Nachhaltigkeit sowie die Bedeutung von Sorgearbeit werden dabei nicht berücksichtigt. Das Bruttoinlandsprodukt ist für eine umfängliche Wohlstandsmessung folglich nicht geeignet. Daher bedarf es einer
Alternative in Form des Gemeinwohl-Produktes. Bei diesem identifizieren Bürger*innen selbst die Indikatoren eines für sie guten Lebens. Diese können zum Beispiel Gesundheit, Bildung, Teilhabe, sozialer Zusammenhalt, ökologische Stabilität, Sicherheit und subjektives Wohlbefinden sein.

Beispiele:
Die Regierungen von Schottland, Island und Neuseeland haben die Faktoren psychische Gesundheit ihrer Bevölkerung, den Zugang zu Wohnraum und Grünflächen sowie die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen bereits in das Zentrum ihrer Wirtschaftspolitik gerückt. Weitere Orientierung für das Gemeinwohl-Produkt bieten der Better Life Index der Organisation für Economic Cooperation and Development (OECD), das Bruttosozialglück, welches die Regierung von Bhutan erhebt sowie der “World Happines Report” der UN.

3. Förderung von Gemeinwohl-Bilanzierungen in Berlin

Empfehlung 1:
Wir empfehlen, dass alle öffentlichen Unternehmen und Einrichtungen Berlins, innerhalb der nächsten Legislaturperiode eine Gemeinwohl-Bilanz erstellen und damit aktiv ihren Beitrag zum Gemeinwohl darstellen.

Empfehlung 2:
Zudem empfehlen wir, dass alle Stadtbezirke Berlins und privaten Organisationen bei der freiwilligen Erstellung einer Gemeinwohl-Bilanz finanziell unterstützt werden, in dem Teile der anfallenden Sach- und Personalkosten übernommen werden.

Begründung:
Die Gemeinwohl-Bilanz ist eine ethische Bilanz, die parallel zur Finanz-Bilanz erstellt wird. Sie erfasst den Beitrag von Unternehmen, Organisationen, Städten und Gemeinden zur Stärkung des Gemeinwohls. Die Kriterien orientieren sich dabei an allgemeingültigen Werten, die bereits verfassungsrechtlich, beispielsweise im Grundgesetz, verankert sind. Hierzu gehören Menschenwürde, soziale Gerechtigkeit und Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, Transparenz und demokratische Mitbestimmung, welche für die fünf Berührungsgruppen Lieferant*innen, Eigentümer*innen, Mitarbeitende, Kund*innen und Gesellschaft in einer Gemeinwohl-Bilanz beschrieben und extern geprüft werden.
Der zweijährige Bilanzierungsrhythmus stellt sicher, dass sich die Unternehmungen Ziele zur stetigen Verbesserung ihres Gemeinwohl-Beitrages setzen. Die Gemeinwohl-Bilanz kann so ebenfalls als Instrument der Organisationsentwicklung und als Kompass für eine
zukunftsfähige Nachhaltigkeitsstrategie eingesetzt werden. Zukünftig kann die Gemeinwohl-Bilanz als Grundlage dienen, Organisationen, die besonders sozial, ökologisch und demokratisch wirtschaften, steuerlich zu entlasten, in der öffentlichen Beschaffung stärker zu
berücksichtigen oder ihnen den Zugang zu öffentlichen Krediten zu erleichtern.

Beispiele:
Auf Landesebene ist die Gemeinwohl-Bilanzierung von mindestens einem öffentlichen Unternehmen bereits in den Koalitionsverträgen von Baden-Württemberg, Hessen und Hamburg festgehalten. Auch die Stadt Köln hat zuletzt die Gemeinwohl-Bilanzierung von zwei öffentlichen Unternehmen beschlossen. Ein weiterer Schritt wäre die Durchführung der Gemeinwohl-Bilanzierung der Stadt Berlin selbst, so wie es z. B. die Stadt Steinheim bereits getan hat.

4. Deutsche Wohnen und Co. enteignen

Empfehlung:
Wir empfehlen die Umsetzung des Volksentscheids.

Begründung:
Steigende Mietpreise und Wohnungsmangel prägen Berlin. Nachdem die Mehrheit der Berliner Bürger*innen für die Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. gestimmt hat, ist augenscheinlich, dass die neue Landesregierung die Entscheidung der Bürger*innen
umsetzen muss. Wie bereits in unserer Stellungnahme zu Deutsche Wohnen und Co. enteignen vom 21.09.2021 verdeutlicht, befürworten wir die möglichst gleichberechtigte Mitwirkung der Mieter*innen, Stadtentwickler*innen, des Senats und der Mitarbeitenden in großen Immobilienunternehmen. Diesem Aspekt folgend befürwortet auch die Gemeinwohl-Ökonomie Berlin die Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer, profitorientierter Wohnungsunternehmen.

5. Für die Etablierung eines Zentrums für Transformation

Empfehlung:
Wir empfehlen ein Zentrum für die sozial-ökologische Transformation.

Begründung:
Es besteht die Notwendigkeit, in Berlin einen Ort zu schaffen, der die Kräfte für eine nachhaltige Transformation bündelt. Hierfür soll ein Zentrum für die sozial-ökologische Transformation entstehen. Dieser Ort soll Bildungsangebote, Vernetzungsmöglichkeiten und Fähigkeiten für eine nachhaltige Zukunft bereitstellen. Es soll eine Ausrichtung an wissenschaftlich fundierten Forderungen und Lösungen erfolgen, sowie eine breite Vernetzung und Kooperation mit der Zivilgesellschaft. Wir wollen mit einem breiten Bündnis einen Raum schaffen, der integrativ und inklusiv gesellschaftliche Kompetenzen bündeln und umsetzen kann. Durch ein solches Bildungs- und Begegnungszentrum werden der Bevölkerung transformative Praktiken zugänglich gemacht und es werden Ideen für eine klimaneutrale und sozial gerechte Gesellschaft entwickelt und praktiziert.

Beispiele:
In Großbritannien haben lokale Gemeinschaften Klimazentren gegründet, sogenannte Climate Emergency Centres (CEC). Sie handeln auf lokaler Ebene in Bezug auf die ökologischen und sozialen Herausforderungen. In ihrem Netzwerk teilen sie Erfahrungen, Wissen und Fähigkeiten. Es haben sich bereits mehr als 300 Klimazentren in Großbritannien gegründet. Das Wandelwerk in Köln ist ein freier Zusammenschluss von Engagierten, Kollektiven, Startups und Vereinen, die sich als ein Zentrum für den sozial-ökologischen Wandel verstehen. Sie arbeiten Konzepte aus und verwirklichen in Projekten ihre Visionen für eine menschen- und klimagerechte Stadt.