Stellungnahme zum Volksentscheid der Initiative „Deutsche Wohnen und co. Enteignen“

Perspektive der Gemeinwohl-Ökonomie Berlin

Am 26.09.2021 entscheiden die Berliner*innen in einem Volksentscheid über einen Beschluss zur Erarbeitung eines Gesetzesentwurfs durch den Senat zur Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer Wohnungsunternehmen. Als Gemeinwohl-Ökonomie Berlin möchten wir in diesem Zusammenhang Stellung beziehen:

1) Volksentscheid für eine Enteignung großer börsennotierter Unternehmen

Die Gemeinwohl-Ökonomie befürwortet Volksentscheide, da sie sich für eine stärker partizipative und souveräne Demokratie einsetzt. In dieser werden direkt-demokratische Elemente verbreiteter und häufiger eingesetzt als es heute der Fall ist. Die Volksgesetzgebung (Volksentscheide) kann drängende gesellschaftlich notwendige Schritte ermöglichen, welche über das Parlament nicht zustande kommen, obwohl es eine gesellschaftliche Mehrheit dafür gibt. In der Vergangenheit hatten Volksbegehren in Berlin häufig Bereiche der Daseinsvorsorge zum Gegenstand (z.b. zur Rekommunalisierung von Wasser oder Energie) , zu welchen auch das Wohnen gezählt werden kann.

2) Überführung der Wohnungen in eine demokratische Anstalt des öffentlichen Rechts

Die Gemeinwohl-Ökonomie fordert, dass Unternehmen ab einer gewissen Größe zunehmend demokratisch durch die Anspruchsgruppen geführt werden. Die von der Deutsche Wohnen und co. Enteignen vorgeschlagene Anstalt des öffentlichen Rechts würde Mieter*innen,
Stadtentwickler*innen, Senat, Mitarbeitende der Anstalt möglichst gleichberechtigt mitwirken lassen. Diesen Aspekt folgend befürwortet die Gemeinwohl-Ökonomie Berlin die Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer Wohnungsunternehmen. Sollte die Mehrheit der Berliner*innen am 26.09.2021 für eine Vergesellschaftung stimmen und der Senat den Forderungen folgen, wäre aus Sicht der Gemeinwohl-Ökonomie Berlin wichtig den Prozess der Vergesellschaftung möglichst wertschätzend zu gestalten und zu kommunizieren. Die Akteur*innen innerhalb großer Konzerne sollten eingeladen werden die Umstände zu verstehen und Akzeptanz aufzubauen. Im besten Falle lassen sich einstige Gegner für eine konstruktive Zusammenarbeit gewinnen, zum Beispiel im Aufbau der geplanten neuen Anstalt des öffentlichen Rechts für Wohnen. Wünschenswert wäre auch ein positives Ausstrahlen des Prozesses über die Region Berlin hinaus in andere Regionen Deutschlands, womöglich der EU. Dazu braucht es sowohl positive Geschichten als auch zahlreiche, einflussreiche und kompetente Befürworter.

3) Der „Zukunfts- und Sozialpakt“ der Vonovia und Deutsche Wohnen

In einem von Vonovia und Deutsche Wohnen erstellten „Zukunfts- und Sozialpakt“ schlagen diese der Stadt Berlin vor, die Mieten bis 2026 zu begrenzen und den Neubau von Wohnungen anzukurbeln. Zudem beschreibt Rolf Buch, CEO der Vonovia, in deren Nachhaltigkeitsbericht 2020: „An erster Stelle steht für uns das Wohl der Menschen, die bei uns wohnen. Ihnen sollen keine
finanziellen Nachteile aufgrund getroffener politischer Entscheidungen entstehen“. Finanzielle Nachteile für die Mieter*innen folgen jedoch aus dem aktuell vorrangigen Interesse nach Kapitalrendite, wobei das Wohl der Menschen hinten angestellt wird. Im Falle von Vonovia und Deutsche Wohnen besteht dabei durch die Börsennotierung unter den gegenwärtigen Finanzmarktstrukturen ein nicht aufzulösender Zielkonflikt. Ein „Zukunfts- und Sozialpakt“, der seinen Namen verdient, würde daher bedeuten, das Wohl der Mieter*innen wirklich an erste Stelle zu setzen. Damit verbunden wäre ein Abschied von der Börse und die konsequente Ausrichtung der Vonovia sowie der Deutsche Wohnen auf das Gemeinwohl.

4) Nachweislich gemeinwohl-orientierte Immobiliengesellschaften gezielt fördern

Die Gemeinwohl-Ökonomie Berlin schlägt neben der demokratischen Beteiligung der Stakeholder an den Immobiliengesellschaften vor, dass alle Immobiliengesellschaften eine Gemeinwohl-Bilanz erstellen und somit darstellen, wie viel sie tatsächlich zum Gemeinwohl beitragen. Der Berliner Senat kann anschließend wirtschaftspolitische Anreizmechanismen an die Ergebnisse der Gemeinwohl-Bilanz knüpfen und somit die tatsächlich gemeinwohl-orientierten Immobiliengesellschaften gezielt fördern. Unabhängig vom Ausgang der Abstimmung sollten alle Immobilienunternehmen, die sich auf den Weg machen gemeinwohlorientiert zu wirtschaften und dies mit einer Gemeinwohlbilanz nachweisen, steuerliche, rechtliche und sonstige Unterstützung durch das Land Berlin erfahren. Ein Nahziel der nächsten Legislaturperiode könnte sein, den Anteil der gemeinwohlorientierten Unternehmen auf dem Berliner Wohnungsmarkt so zu erhöhen, dass die kapitalmarktgetriebene Mietpreissteigerung beendet wird.