Für eine Reform des Eurosystems im Dienste des Gemeinwohls!

Referentin Portrait

Staatsschulden, Zinsen, Geldsystem – Die Referentin Annabel Konermann ist an diesem Impuls- und Einstiegsabend der Göttinger Gemeinwohl-Ökonomie in der Alten Postkartenfabrik am 17.4.24 den folgenden, „gewichtigen Fragen“ nachgegangen:

  • Wie sehr belasten uns Staatsschulden?
  • Welche Möglichkeiten haben die Euroländer, Staatsausgaben zu tätigen?
  • Wie monetär souverän könnte die Europäische Union sein?
  • Können wir uns im Kampf gegen den Klimawandel eine Schuldenbremse leisten?

Hier Auszüge aus ihrem Impulsvortrag.

Gleich zu Beginn stellt Annabel Konermann klar: „Die entscheidende Frage ist, ob die gesellschaftlichen Ziele erreicht werden – wie Klimaneutralität, ausreichende Daseinsvorsorge, stabile Infrastruktur, Vollbeschäftigung, maximales Gemeinwohl!“

Demgegenüber sei die buchhalterische Finanzkennzahl des Staatsdefizits im Grunde unbedeutend und habe keine negativen Folgen für uns und unsere Kinder. Da jedoch Medien, Talkshows und das Finanzministerium mit ihren Beratern aus der neoklassischen Schule so nachdrücklich auf dem Thema Staatsschulden herumritten, sollten wir allerdings verstehen, warum die Politik der Schuldenbremse ein Fehler sei.

Um die gesellschaftlichen Ziele gemeinverträglich zu erreichen, seien Staatsausgaben notwendig. „Wenn der Staat dafür Schulden verzeichnet, ist das keine Belastung, wie Schulden für einen Privathaushalt oder ein Unternehmen oder eine Kommune“, so die Göttinger Volkswirtin und GWÖ-Koordinatorin.

Staatsschulden erhöhen 1:1 das Privatvermögen

Konermann weiter: „Der monetär souveräne Staat funktioniert nicht wie ein Privathaushalt und finanziert seine Ausgaben nicht, sondern tätigt sie! Die Staatsschulden spiegeln sich 1:1 in unserem Privatvermögen wider. Umso weniger der Staat ausgibt, umso ärmer sind Haushalte und Unternehmen. Oder je mehr Haushalte und Unternehmen sparen, desto mehr muss der Staat die dadurch entstehende Nachfragelücke schließen, damit die Wirtschaft nicht verliert bzw. die Arbeitslosigkeit und Insolvenzen nicht zunehmen. Wenn sowohl der Staat als auch der Privatsektor sparen wollen, dann muss sich das Ausland bei uns verschulden. Mit den Exportüberschüssen halten wir auf Kosten und zur Verärgerung unserer Nachbarn in Europa zwar unsere Staatsverschuldung klein, aber wir exportieren damit das Problem der Arbeitslosigkeit in diese Länder.“

Geld für Staatsanleihen kommt von der EZB nicht aus dem Privatsektor

Die Staatsschulden verursachten Zinsen, seien aber deswegen keine Belastung künftiger Generationen. „Zinsen an Geschäftsbanken fallen an, weil die Eurostaaten in der jetzigen Ordnung darauf angewiesen sind, Staatsanleihen an Geschäftsbanken zu verkaufen, um ihre Staatsausgaben tätigen zu können. Die Geschäftsbanken wiederum leihen sich das für die Bezahlung notwendige Zentralbankgeld bei der EZB. Dieser Umweg über die Banken wurde von der EU gewählt, weil man dem Kapitalmarkt eher zutraut, dass sie das Risiko, beziehungsweise die Solvenz der Eurostaaten, besser einschätzen als die EZB. Die Zinsen für Staatsanleihen sind wie ein Grundeinkommen für die Geschäftsbanken und natürlich ein Gewinn für Sparer*innen. Übrigens seien aber nur 50% der Bevölkerung in der Lage zu sparen. Ärmere Euroländer zahlen am Kapitalmarkt höhere Zinsen als Deutschland. Das Eurosystem ist vor 30 Jahren im neoklassischen Geist konzipiert worden und setzt auf Wettbewerb unter den Mitgliedsstaaten, eben auch gegenüber dem Kapitalmarkt. Es sieht Fiskalpolitik, also Staatsausgaben und Steuern, nicht als Gemeinschaftsaufgabe. Alle Euroländer sind gezwungen zu sparen.“

Geldsystem – Geldschöpfung

„Die Funktionsweise des modernen Geldsystems“, stellt die Referentin fest: „ist die größte intellektuelle Hürde für die Umsetzung einer gemeinwohlorientierten Wirtschaftspolitik unserer Zeit.“ Erst wenn man verstehe, wie Geld funktioniert, wisse man, was Staatsschulden für uns bedeuten. Geld sei eine Recheneinheit für Schuldbeziehungen. Und so macht Annabel Konermann den Punkt: „Schulden und Vermögen bedingen einander. Unser Geldsystem ist ein Kreditsystem. Geld entsteht durch Kredit. Bei jeder Kreditvergabe wird Geld geschöpft und bei jeder Schuldtilgung wird Geld vernichtet. Geld hat keinen stofflichen Wert und seit 52 Jahren keinen Gegenwert in Gold. Unser Geld ist virtuell auch schon vor dem digitalen Geld. Es ist ein elektronischer Datenbankeintrag in einer Excel-Tabelle.“

Wenn es auch schwierig sei zu verstehen, was Geld ist, umso leichter sei es zu verstehen, wie Geldschöpfung für Zentralbanken und Geschäftsbanken funktioniert. „Konten werden per Mausklick kreditiert oder debitiert. Bei Staatsausgaben wird Geld geschöpft, bei Steuerzahlungen wird Geld vernichtet.“

Steuerzahlungen verringerten zwar das Staatsdefizit, aber von einem verringerten Defizit könne man sich nichts kaufen. In einer monetär souveränen Währungsunion seien „die Steuern zum Steuern da, aber nicht zur Finanzierung der Staatsausgaben“. Vielmehr seien die Staatsausgaben dafür da, dass wir unsere Steuern zahlen können, so Konermann.

Europäisches Finanzministerium

Diese Erkenntnisse, die bereits 120 Jahre alt seien und erst in den letzten 40 Jahren von der dominanten neoklassischen Lehre verdrängt wurden, würden uns helfen, den „künstlichen Haushaltskäfig“ zu öffnen. Den Schlüssel dafür habe die Europäische Union. Sie könne mit weiteren Reformen der Schulden- und Defizitregeln und der Einführung einer europäischen Fiskalpolitik die Eurostaaten als Ganzes monetär souverän machen. Die Staatsanleihen der EU, namens „NextGenerationEU“, würden in die richtige Richtung gehen.

Solange Arbeitslosigkeit, Armut – keine Überschussnachfrage – keine Inflationsgefahr

Zur sogenannten Schuldenbremse sagte Konermann: „Sie wird erst dann notwendig, wenn alle natürlichen Ressourcen und Arbeitskräfte ausgelastet sind. Solange wir noch eine Arbeitslosigkeit von 6 – 7 % haben, besteht keine Überschussnachfrage, die nicht gesättigt werden kann. Darum bestehe auch keine Inflations-Gefahr.

Die wirklich große wirtschaftspolitische Herausforderung

Arbeitskräfte. Die wirklich große wirtschaftspolitische Herausforderung“ sei die Folgende: „Wie setzen wir benötigte Ressourcen frei für den Kampf gegen den Klimawandel. Wie überführen wir sozialverträglich Arbeitskräfte aus Wirtschaftsbereichen, die das Gemeinwohl nicht fördern, also zum Beispiel aus der Verbrenner-Produktion, dem Kreuzfahrtgeschäft , der Finanzwirtschaft oder der fossilen Energieerzeugung, in nachhaltige Geschäftsbereiche, wie der Gebäudeisolierung, fossilfreien Wärme, Pflege, Bildung, ökologischen Landwirtschaft, etc.?“ Genau dafür böte, so schloss die Referentin ihren Vortrag, die Gemeinwohl-Ökonomie mit ihrer Ausrichtung am Gemeinsinn und ihrer Methodik der Partizipation einen nützlichen Werkzeugkasten.

Die Kernaussagen des Abends waren:

Geld ist nicht knapp. Geld wird permanent geschöpft und vernichtet. Wir können uns alles leisten, was wirtschaftlich umsetzbar ist. Staatsausgaben sind notwendig, damit wir Steuern zahlen können. Steuern sind zum Steuern da und nicht zur Finanzierung der Staatsausgaben. Fiskalpolitik sollte Gemeinschaftsaufgabe der Europäischen Union sein. Allein die Zinssteuerung der EZB kann keine konjunkturellen Krisen stabilisieren.